Grußworte zur Pfalztour von Helmut Haasis

Der Historiker, Schriftsteller und Verleger Hellmut G. Haasis hat uns eine Grußbotschaft zur Pfalz-Nordelsassreise geschickt. Helmut ist der Wiederentdecker der Pfälzer Demokratiebewegung 1789-1849. Er publizierte u.a. Pfälzer Jakobinerschriften sowie den einzigen Revolutionsroman „Die Freischärlerin“ von Karcher über die Pfälzer Revolution im Mai/Juni  1849.

lieber thomas,  

jedes jahr und immer um dieselbe zeit werde ich GERÜHRT.
was es nicht alles gab damals. noch immer fahren
jüngere auf den spuren interessantester freiheitsgeschichte
mit ihren fahrrädern schwer schnaufend die berge hinauf
und hoffentlich frohlockend drüben wieder runter,
gleich zu einem pfälzer schoppen.  

es freut mich, dass mein laudator axel kuhn
noch immer dabei ist.  

was hat er einst an mir gelobt?
mein lebenswerk, im hochwohllöblichen
schloss von ludwigsburg, als ich den ludwig uhland-
preis erhielt.  

BLEIBET BEI EIRER FAHRT ÄLLE XOND
FALLAT NED VOM FAHRRAD RONTER  

und fragt axel kuhn, ob er diesen schwäbischen segenswunsch übersetzen kann!

Hier übrigens ein Interview, das ich im April 2012 mit ihm geführt habe:

Auf den Spuren der Besiegten – Ein Interview mit Hellmut G. Haasis

Axel Kuhn, Deutschland und die Französische Revolution

Axel Kuhn, der auf unserer Pfalzreise 2019 einen Vortrag zur Rolle der französischen Revolution für die deutsche Demokratie halten sollte, hat uns folgende Nachricht geschickt:
Lieber Thomas,
ein Unfall im Urlaub macht es mir leider unmöglich, meinen Vortrag auf deiner Jubiläumsreise in die Pfalz und ins Nordelsass zu halten. Als kleiner Ersatz möge der beiliegende Text dienen, den ich aus einer früheren Vorlesung an der Universität Stuttgart zusammengestellt habe. Gerne hätte ich das Thema mehr auf die grenznahen Regionen in Deutschland konzentriert – aber das geht nun nicht. Ich hoffe, dass meine „Botschaft“ trotzdem ankommt: Die Anfänge der deutschen Demokratie liegen in der Revolution. Demokratie musste und muss auch heute immer wieder erkämpft und verteidigt werden. In Zeiten, da die deutschen Freiheitsbewegungen in der Geschichte an den Universitäten kaum mehr thematisiert werden, sind deine politischen Radreisen „in die Revolution“ wichtiger denn je. Ich wünsche der Jubiläumstour einen guten Verlauf ohne Unfälle und den Teilnehmenden einen reichen Gewinn an neuen Einsichten in die Geschichte der deutschen Demokratie.
Axel Kuhn, bis 2008 apl. Prof. für neuere Geschichte an der Universität Stuttgart, seitdem im Ruhestand
.“
Hier also der Text:

Einleitung
In Deutschland beginnt die Geschichte der modernen Gesellschaft und die der demokratischen Bewegungen mit der Französischen Revolution von 1789. Denn diese Revolution hinterließ mit ihren Ideen und, seitdem es ab 1792 Krieg gab, auch mit ihren Truppen tiefe Spuren in der politischen und geistigen Entwicklung Deutschlands. Vor allem sind es drei Entwicklungen, die in dieser Zeit beginnen und seitdem die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jhts mitbestimmen. Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts entstanden in Auseinandersetzung mit der Revolution die ersten politischen Gruppen in Deutschland, die man als Frühformen von Parteien bezeichnen kann. In den Jahren 1792/93 und 1797/98 wurden zweitens die ersten, freilich nur kurzlebigen Republiken auf deutschem Boden errichtet, die vom Prinzip der Volkssouveränität ausgingen. Und drittens wurden in diesen Jahren die ersten Verfassungsentwürfe erarbeitet. Es handelt sich bei ihnen nicht nur um theoretische Modelle. Sie standen vielmehr im Zusammenhang mit revolutionären Bewegungen, denen als Endziel eine deutsche Republik vorschwebte.
Also: die Französische Revolution hat entscheidende Impulse für die deutsche Parteiengeschichte, die deutsche Verfassungsgeschichte, ja für die Entstehung von Volksbewegungen überhaupt gegeben.

Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts
Seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) war Deutschland endgültig in eine Vielzahl von kleinen und kleinsten Territorien zersplittert. Neben über 300 souveränen Staaten gab es mit Preußen und Österreich zwei Großmächte, die miteinander um die politische Führung wetteiferten. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation – so der offizielle Titel – war nur noch eine formale Klammer, die die auseinanderstrebenden Teile mühsam zusammenhielt. Die wichtigsten politischen Entscheidungen lagen in der Kompetenz der einzelnen Territorialstaaten; diese waren in Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Landesverteidigung und Polizeiwesen von der Reichsgewalt unabhängig.
Die Reichsgewalt lag noch bis zum formellen Ende des Deutschen Reiches im Jahre 1806 beim Kaiser. Er wurde offiziell von den Kurfürsten gewählt. Faktisch war die Kaiserwürde in der Habsburger Monarchie erblich. Ferner gab es noch den Reichstag, der seit 1663 als Gesandtenkongreß permanent in Regensburg tagte. Er war eine Vertretung der Kurfürsten, Reichsfürsten und Reichsstädte. Die Kompe-tenzen des Reichstags waren verfassungsrechtlich nicht genau abgegrenzt. Immerhin konnte er einen Krieg zur Angelegenheit des ganzen Reiches erklären und auch nach einem solchen Reichskrieg Friedensverhandlungen führen.
Die deutschen Reichsfürsten ahmten in ihren Territorialstaaten entweder die Regierungsform des Absolutismus nach, so wie sie ihnen in Frankreich vorgeführt wurde, oder sie waren Vertreter eines „aufgeklärten“ Absolutismus. Absolutismus bedeutete, daß der Herrscher als Stellvertreter Gottes über den Gesetzen stand und von keiner Vertretungskörperschaft in seinen Entscheidungen beeinträchtigt wurde. Unter aufgeklärtem Absolutismus verstand man, daß sich die Fürsten, beeinflußt von der Aufklärung, freiwillig an höhere Interessen als die eigenen persönlichen banden. In solcherart regierten Staaten gab es keine Staatsbürger, sondern nur Untertanen. Politisches Bewußtsein, das an die Möglichkeit einer Mitverantwortung gebunden war, konnte kaum entstehen.

Die Entstehung der politischen Gruppen
In der älteren Literatur zum Thema wurde hauptsächlich eine Frage diskutiert: Wann entstand in Deutschland politisches Bewußtsein und welche Rolle spielte die Französische Revolution dabei? Das ist an sich eine wichtige Frage; aber sie wurde bis in die 1950er Jahre hinein nur für eine kleine Gruppe von Schriftstellern, Journalisten und Philosophen untersucht. Heute, da uns eine viel breitere Personenbasis zur Ver-fügung steht, kann man die Frage wohl wie folgt beantworten:
Politisches Bewußtsein war in Deutschland schon vor 1789 ausgebildet. Deutsche Schriftsteller, Journalisten und Professoren waren wie ihre französischen Kollegen von der Aufklärungsphilosophie geprägt. Seit etwa 1775 gab es in Deutschland eine oppositionelle Literatur, die sich gegen die “Tyrannen” richtete und deutlich republikanische Züge trug.
Dennoch hat die Französische Revolution in zweierlei Hinsicht einen großen Einfluß ausgeübt: Sie hat den Prozeß der Politisierung in Deutschland verschärft, indem sie nun jeden politisch denkenden Menschen zwang, zum Wesen der Revolution überhaupt und zum Verlauf der Revolution im Nachbarland Stellung zu nehmen. Damals wurden erstmals Positionen erarbeitet, die in späteren Revolutionen, namentlich 1848/49 und 1918/19, wieder auftauchten.
Die Französische Revolution hat zweitens die einzelnen Menschen zu politischen Gruppen zusammengeführt. In Auseinandersetzung mit ihr bildeten sich drei politische Gruppen heraus:
Gegner der Revolution von 1789 fanden sich in Kreisen und um Zeitungen zusammen, die man konservativ nennen kann.
Gegner der Radikalisierung der Revolution seit 1792/93 entwickelten liberale Positionen. Sie brauchten sich am wenigsten zu organisieren, weil sie die herrschende Meinung vertraten.
Die dritte Gruppe der Demokraten traf sich seit 1791 in politischen Klubs und gab trotz der Radikalisierung der Revolution ihre Orientierung an Frankreich nicht auf. Diese Klubs entwickelten im Unterschied zu den konservativen und liberalen Gruppen feste Organisationsformen: Es gab Satzungen, Vorstandswahlen, Mitgliederlisten und politische Versammlungen. In den meisten Teilen Deutschlands mußten sich die Demokraten im Geheimen versammeln.
Im Rheinland, innerhalb des französischen Einflußgebietes, konnten sie zeitweise öffentlich wirken. Der bedeutendste Klub war die Mainzer “Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit” Sie existierte rund fünf Monate und hatte insgesamt fast 500 eingeschriebene Mitglieder.
Jede dieser drei Gruppen hat nun einen wichtigen Beitrag zur politischen Theorie der Revolution geliefert. Als wichtigster und folgenreichster Beitrag der Konservativen, also der Revolutionsgegner von 1789, kann die Konspirationsthese gelten. Sie lautet etwa so: Die Revolution war überflüssig, da die alte Gesellschaft aus sich heraus noch die Kraft zu Reformen hatte. Wenn die Revolution nicht notwendig war, dann mußte sie künstlich herbeigeführt worden sein, und zwar von einer kleinen Gruppe von Verschwörern. Auf spätere Revolutionen übertragen, änderten sich wohl die Konspirateure, aber das einmal gefundene Grundmuster blieb erhalten: die Reformierbarkeit der alten Gesellschaft und die unnötige Revolution als Werk einer kleinen Minderheit.
Den bedeutendsten Beitrag zum Arsenal liberaler Revolutionsabwehr in Deutschland lieferte Friedrich Schiller. Das von ihm entwickelte Konzept lautet vereinfacht: Der Mensch muß sich zunächst selbst verändern, bevor er die Verhältnisse verändern kann. Dieses Konzept ermöglichte es, an den Ideen von 1789 festzuhalten, deren Verwirklichung aber als Werk politisch unreifer Menschen abzulehnen.
Die deutschen Demokraten hatten auch vielfach Mühe, die Schreckensherrschaft der französischen Jakobiner zu akzeptieren. Dennoch entwickelten die entschiedensten Revolutionsanhänger von ihnen Überlegungen zur Rechtfertigung der Revolution, die sich auch auf andere Revolutionen übertragen ließen. Georg Forster etwa, der 1794 als Mainzer Emigrant in Paris starb, war der Meinung, daß die Radikalisierung der Revolution nötig sei, um wenigstens die liberalen Ideen durchsetzen zu können. Außerdem übernahm er einen Gedanken von Immanuel Kant, den schon dieser gegen Schillers Konzept der Versittlichung des Menschen eingewandt hatte: Der Mensch reift nur durch eigene Versuche, und diese zu machen muß er die Freiheit haben.
Zusammenfassend zu diesem Kapitel läßt sich also sagen: Das politische Parteiensystem, das das 19. und 20. Jht in Deutschland bestimmte, nämlich die Dreiteilung in konservativ, liberal und demokratisch (später sozialdemokratisch), hat sich schon am Ende des 18. Jhts herausgebildet, und zwar in Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution. Wichtig wurde dabei, daß sich die Revolutionsgegner der ersten Stunde (1789) und die der zweiten Stunde (1792) nicht zu einer Gruppe vereinigten. So entstand eben diese so lange nachwirkende Dreiteilung der politischen Meinungen, ohne daß äußere Anlässe, wie etwa ein bestimmtes Wahlrecht dazu gezwungen hätten. Natürlich hat sich konservatives, liberales und demokratisches Denken nicht in der Auseinandersetzung mit der Revolution erschöpft. Im einzelnen müßte hier noch auf die Staats- und Gesellschaftsvorstellungen der drei im Entstehen begriffenen Parteien eingegangen werden.

Die Mainzer Republik
Rund fünf Monate lang, von Ende Oktober 1792 bis Anfang April 1793, existierte die Mainzer Republik. Zum erstenmal in der deutschen Geschichte trat in dieser Zeit ein Landesparlament zusammen, der Rheinisch-deutsche Nationalkonvent. Er bestand aus Abgeordneten, die aufgrund eines allgemeinen, gleichen und direkten Männerwahlrechts gewählt worden waren. Die Wahl fand am 26. Februar 1793 statt, die konstituierende Sitzung am 17. März 1793. Insgesamt konnten 16 Sitzuungen abgehalten werden.
Auf seiner zweiten Sitzung am 18. März beschloß der Konvent eine Unabhängigkeitserklärung. Er dekretierte, daß die von ihm vertretenen Landstriche zwischen Landau und Bingen “von jetzt an einen freien, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen”. Die Abgeordneten erklärten gleichzeitig “allen Zusammenhang mit dem deutschen Kaiser und Reich” für aufgehoben. Sie bestimmten außerdem, daß das freie Volk der einzige rechtmäßige Souverän dieses Staates sei. Drei Tage nach der Unabhängigkeitserklärung, am 21. März 1793, beschloß der Konvent, die Einverleibung des neuen Staates in die französische Republik zu beantragen.
Die entscheidende Voraussetzung für Entstehung und Dauer der Mainzer Republik war der Kriegsverlauf zwischen Frankreich und den gegenrevolutionären Mächten. Am 20. September 1792 wurde die Invasion Frankreichs in der Kanonade von Valmy gestoppt. Nun drangen französische Truppen auf deutsches Gebiet vor. Im Laufe des Oktobers wurden Speyer, Worms und Mainz besetzt. Das Gebiet zwischen Landau, Saarbrücken, Mainz und Bingen blieb bis zum Frühling 1793 in französischer Hand. Allein diese französische Besetzung des linksrheinischen Deutschlands ermöglichte es den Mainzer Demokraten, ihre Aktivitäten offen auszuüben. Sie brauchten den politischen, ideologischen und finanziellen Rückhalt der Besatzungsmacht.
Doch die treibende Kraft der demokratischen Bewegung am Rhein waren nicht die Franzosen, sondern die Einheimischen. Und die Bewegung erreichte eine beachtliche Stärke. Vor allem in den neugegründeten Klubs wurde viel für die Demokratisierung gearbeitet. Solche Klubs bestanden in Mainz, Speyer, Worms, Landau, Aachen und Bergzabern.
Insgesamtgesehen entwickelte sich in wenigen Monaten eine Kreativität, die große Bewunderung verdient. Politische Reden wurden gehalten, gedruckt und verbreitet. Neue Zeitungen entstanden, sowie Flugschriften, auch revolutionsfreundliche Gedichte und Theaterstücke. In Bergzabern meldeten sich freiheitsliebende Frauen zu Wort. In mehr als 100 Dörfern Rheinhessens und der Pfalz gab es Minderheiten, die eine Beseitigung des alten Regimes wünschten. Festlicher Höhepunkt der Unabhängigkeitsbewegung war jedesmal die Errichtung eines Freiheitsbaumes. Solche Bäume standen schließlich in etwa 50 Dörfern. Nimmt man all diese Initiativen zusammen, so wird man sagen dürfen, daß die französische Besetzung nur das Ventil für ein lange aufgestautes deutsches Freiheitsverlangen öffnete.

Die Cisrhenanische Republik
Im Jahre 1797 bestand zum zweitenmal im Rheinland eine Republik. Die Kampagne für eine solche cisrhenanische Republik war schon seit Mitte 1794 in Gang gekommen, als die Franzosen nach einem militärischen Sieg gegen die Österreicher ein zweitesmal die Landstriche links des Rheins besetzten. Die Zentren der Bewegung lagen diesmal zwischen Aachen, Köln, Bonn und Koblenz; die cisrhenanische Republik bestand in den Monaten September und Oktober 1797.

Volksunruhen in Deutschland.
Auch durch die Erforschung sozialer Unruhen ist unser Deutschlandbild in den letzten Jahren erheblich verändert worden. Bis dahin herrschte noch folgende Auffassung vor: Die sozialen Gegensätze, Spannungen und Auseinandersetzungen seien im Deutschland des ausgehenden 18. Jhts erheblich weniger stark gewesen als in Frankreich. Vieles deutet daraufhin, daß dieser Eindruck vor allem auf dem zu geringen Interesse der älteren Forschung am Problem der sozialen Unruhen beruhte. Nach den Ergebnissen neuerer lokal- und regionalgeschichtlicher Untersuchungen waren soziale Unruhen in Deutschland alles andere als Ausnahmeerscheinungen. Offensichtlich verhielt sich die ländliche und städtische Bevölkerung viel aufsässiger, als bisher angenommen.
Unter dem Eindruck der Französischen Revolution brachen in vielen Teilen des deutschen Reiches Handwerkerunruhen in den Städten, Bauernunruhen auf dem Land und Studentenunruhen an den Universitäten aus. Diese spontan und unabhängig voneinander ablaufenden Mißfallenskundgebungen konnten die Regierungen nicht ernsthaft gefährden. In den Bittschriften der Aufständischen wurden Forderungen erhoben, die sich auf die Abschaffung regionaler Mißstände konzentrierten. Damit gehören diese Bewegungen zu Volksunruhen, wie sie im ganzen 17. und 18. Jht typisch waren.
Am meisten Aufmerksamkeit über regionale Grenzen hinweg erregte der sächsische Bauernaufstand von 1790. Ursachen des Aufstands waren die traditionellen bäuerlichen Abhängigkeitsverhältnisse. Das auslösende Moment bildete eine Wildplage. Als sich 1789/90 der Wildbestand im Kurfürstentum Sachsen stark vermehrte, die Bauern sich aber wegen des Jagdprivilegs der Großgrundbesitzer gegen die Wildschäden nicht wehren durften, griffen sie zur Selbsthilfe. Erst trieben sie das Wild weg, dann schossen sie es widerrechtlich ab. Im August 1790 kam es zu gemeinschaftlichen Aktionen. Ganze Dörfer stellten ihre Frondienste ein, Bauerntrupps zerstörten Schlösser und Gutshöfe, besetzten das Land und befreiten ihre Anführer aus den Gefängnissen. Flugblätter griffen wie im Bauernkrieg von 1525 auf religiöse Begründungen zurück, und argumentierten (das war neu) mit den Menschenrechten. Die Regierung mußte 5 600 Mann Militär in das Gebiet entsenden, um den Aufstand zu unterdrücken. Die Bauern ergaben sich angesichts der Übermacht kampflos. Zuchthaus, Arbeitshaus und Geldstrafen für mehr als 100 sogenannte Rädelsführer waren die Folge.
Mit dem Ausbruch der Revolution erhielten die Äußerungen des Volkszorns, die sich wie ein mehr oder weniger breiter Strom durch die Jahrhunderte ziehen, eine größere Bedeutung. Sie wurden nämlich anders eingeschätzt als in ruhigen Zeiten und konnten dadurch auch das Handeln der Menschen stärker beeinflussen. Symbolische Akte, wie das Tragen von Kokarden, oder die neue Begrifflichkeit von Aufklärung und Revolution, brachten es in diesem Kontext zu ungeahnten Wirkungen. Die Regierenden antworteten schärfer als bisher auf die Äußerungen von Unzufriedenheit, und die Unzufriedenen konnten sich durch das französische Beispiel ermutigt fühlen. Es ist also nichts gewonnen, wenn man nur auf den Ablauf eines Protestes schaut und dann feststellt, es seien ja nur die altbekannten Formen gewesen, und wenn man die symbolischen Handlungen als bloße Drohgebärden bezeichnet. Denn ein und dieselbe Tat kann durch veränderte Zeitumstände eine neue Qualität erhalten, ganz einfach dadurch, daß sie neu wahrgenommen wird.
Mit ihren traditionellen Unruhen verstärkten die Bauern, Handwerker und Studenten das Konfliktpotential in der Gesellschaft und konnten dadurch, ohne es im einzelnen zu beabsichtigen, zu deren allgemeiner Verunsicherung, im Extremfall zur Entstehung einer revolutionären Situation beitragen.

Revolutionäre Bewegungen und Verfassungsentwürfe
Durch den Frieden von Basel, den Preußen im April 1795 mit dem revolutionären Frankreich schloß, wurde das rechtsrheinische Deutschland in zwei Teile geteilt. Im nördlichen Teil herrschte jetzt Frieden, im südlichen Teil ging der Krieg weiter. Dort konnte man auch erwarten, daß französische Truppen weiterhin ins Land einmarschieren würden.
So konzentrierten sich die revolutionären Bewegungen ab 1795 auf den deutschen Süden. In Süddeutschland, also außerhalb des französischen Besatzungsgebiets, aber innerhalb des Kriegsgeschehens, unternahmen deutsche Revolutionsanhänger mehrere Anläufe, eine Republik zu errichten. Im Rahmen dieser Bewegungen wurden auch zwei Verfassungsentwürfe entwickelt.
Mit dem vermutlich 1798 ausgearbeiteten Ulmer Verfassungsentwurf erreichte die Bürgeropposition in den süddeutschen freien Reichsstädten ihren Höhepunkt. Sein Titel lautet: “Allgemeine Grundsätze einer zu entwerfenden Konstitution für die Reichsstadt Ulm und ihrem Gebiet”. Die Ulmer Bürgeropposition konnte mit ihm alte ständische Wertvorstellungen überwinden und an ihre Stelle das Gedankengut von Aufklärung und Revolution setzen. In der älteren landesgeschichtlichen Literatur war immer wieder behauptet worden, daß es von der altständischen Opposition keinen Weg zu den revolutionsgeleiteten Bewegungen gebe, die schon im 18. Jht auf eine repräsentative Demokratie aus waren. Der Ulmer Verfassungsentwurf zeigt nun das Gegenteil auf.
Er beruht auf einer konsequenten Anwendung der Lehre von der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung. Das Männerwahlrecht sollte durch keinen Zensus eingeschränkt und die legislative Körperschaft (der “Äußere oder Größere Rat”) direkt gewählt werden. Wäre dieser Entwurf Wirklichkeit geworden, so hätte er den Ulmer Bürgern nicht nur ein größeres Maß an politischer Freiheit, sondern auch mehr demokratische Rechte als den französischen Zeitgenossen gegeben.
Während der Ulmer Verfassungsentwurf nur für ein kleines reichsstädtisches Gebiet konzipiert worden war, orientierte sich der zweite Entwurf an einer gesamtdeutschen Republik. Sein Titel lautet “Entwurf einer republikanischen Verfassungsurkunde, wie sie in Deutschland taugen möchte”. Die umfangreiche Flugschrift, deren Verfasser unbekannt ist, wurde Anfang März 1799 in Basel gedruckt, war aber schon im Sommer 1798 fertiggestellt worden. Auch dieser Entwurf entstand im Zusammenhang mit konkreten Aufstandsvorbereitungen.
Im Jahre 1798 stand der Rastatter Kongreß im Mittelpunkt der europäischen Politik. Er hatte die Aufgabe, Entschädigungen festzulegen, die deutsche Fürsten dafür erhalten sollten, daß ihre linksrheinischen Gebiete bei Frankreich blieben. Bei den Rastatter Verhandlungen dachte keiner daran, daß auch die Bevölkerung zu diesem Menschen- und Länderschacher vielleicht etwas zu sagen hätte. Das deutsche Volk blieb bloßer Gegenstand des Handels. Im Januar 1798 jedoch tauchten “gedruckte aufrührerische Zettel” auf, die die Überschrift “Freiheit – Gleichheit” Trugen. In ihnen wurde dazu aufgerufen, einen unabhängigen Freistaat zu bilden. Ausgangspunkte der Agitation waren die Stützpunkte Basel und Straßburg, Bundesgenossen die Schweizer und die cisrhenanische Bewegung. Unterstützt von französischen Trup-pen wollte man mit Bauern des badischen Oberlandes nach Rastatt marschieren, die Stadt besetzen und eine republikanische Verfassung anordnen. Diese Aktion sollte zugleich das Signal zu einer Erhebung sein, die vom Bodensee bis nach Schwaben reichte. Das Projekt war mit dem General der französischen Deutschlandarmee abgesprochen worden.
Das ganze Projekt wurde jedoch im Januar 1798 durch erste Verhaftungen aufgedeckt und durch die schnelle Versetzung des Generals vereitelt. Die französische Regierung arbeitete schon in dieser Zeit lieber mit den deutschen Fürsten, als mit den deutschen Revolutionären zusammen.
Offensichtlich in diesem Zusammenhang wurde die republikanische Verfassungsurkunde ausgearbeitet. Sie verkündete als Endziel eine Republik, die alle Deutschen umfassen sollte. Zunächst aber war die Umwälzung nur in einigen Gebieten geplant; andere konnten sich später nach ihrer Befreiung anschließen. Dem aus 547 Artikeln bestehenden Entwurf zufolge wählen die Bürger in Urversammlungen ihre Wahlmänner. Diese Wahlmänner wählen dann nicht nur die Abgeordneten, sondern auch die Richter. Das parlamentarische System besteht aus diesem Erstrat und einem Zweitrat aus älteren Abgeordneten. Beide Parlamente zusammen sollen eine fünfköpfige Regierung, den Staatsrat, wählen. Manche Bestimmungen des Entwurfs sind bis heute in der BRD nicht eingelöst. Das gilt zum Beispiel für das Bürgerrecht: Als deutscher Bürger und damit Wahlberechtigter sollte jeder Mann gelten, der in Deutschland mindestens ein Jahr lang einem erlaubten Gewerbe nachgegangen ist.
In den Kämpfen um die Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung, die durch die Französische Revolution auch in Deutschland angeregt wurden, bildete das Projekt zur Sprengung des Rastatter Kongresses einen letzten Höhepunkt. Der “Entwurf einer republikanischen Verfassungsurkunde” kann als das bedeutendste Dokument des süddeutschen Jakobinismus angesehen werden. Dieser Entwurf blieb nur in dem Sinne folgenlos, daß er nicht verwirklicht werden konnte. Aber dasselbe gilt auch für die deutsche Reichsverfassung von 1848.
Beide waren keine bloßen Gedankenspielereien, sondern jeweils in revolutionäre Bewegungen eingebettet. Der Entwurf von 1799 zeigte darüberhinaus eine Methode auf, wie sich unter den damaligen Bedingungen eine nationale Republik von unten nach oben hätte konstituieren können: In einem befreiten Gebiet wäre sie errichtet worden, andere Regionen hätten sich nach ihrer Befreiung anschließen können. Der Verfassungsraum reichte so weit, wie die Verfassungsbewegung reichte.

Zusammenfassung
Deutschland zur Zeit der Französischen Revolution: Das ist nicht nur das “Zeitalter der Klassik”, in dem alle Ereignisse vom “Geist der Goethezeit” durchweht werden. Das in der älteren Literatur gezeichnete Bild vom unpolitischen Deutschland, das nur in der Philosophie Revolutionen machen kann, trifft nicht zu. Durch die Französische Revolution angeregt, mehrten sich auch hier die Unruhen in Stadt und Land, machte sich die politische Radikalität eines aufgeklärten Bürgertums bemerkbar. Es gab die Anfänge des Parteienwesens und der Verfassungsbewegung, es kam zu ersten Kämpfen um die Errichtung einer Republik.
Die Gründe dafür, daß diese Bewegungen noch scheiterten, lagen vor allem in der großen Zersplitterung Deutschlands. In Frankreich war der Staat zentralisiert – in Deutschland bestanden ca. 350 souveräne Herrschaften. Ein zweiter Unterschied ist, daß Frankreich ein wirtschaftlich bankrotter Staat war. Er war damit auf das Geld der Bürger angewiesen und mußte dafür deren Mitbestimmungsforderungen hinnehmen. In Deutschland waren die Regierungen nicht in diesen Zugzwang geraten; sie konnten den Aufstands- und Demokratiebewegungen unbeschadet mit ihren Soldaten entgegentreten.

PS: Eine ausführlichere Fassung dieses Textes ist nachzulesen in dem Buch:
Axel Kuhn: Die Französische Revolution, Reclam-Taschenbuch 1999 (gelbe Ausgabe) bzw. 2011 (magentarote Ausgabe)

Die Afd und das Hambacher Fest

Seit einigen Jahren versuchen die AFD und ihr nahestehende  Kreise um die Werteunion das Hambacher Fest und seine Traditionslinien für sich zu vereinnahmen.
Dagegen hat der Freundeskreis Hambacher Fest den sehr lesenswerten Blog hambacherfest1832.blog erstellt, der sich zum Ziel gesetzt hat sich gegen die Vereinnahmung des Hambacher Festes durch rechtsnationalistische Kräfte zu wehren.
Übrigens ist der Hauptinitiator, Ulrich Riehm im Jahre 2016 mit Politische Radreisen durch die Pfalz geradelt.

Hierzu hat die Wochenzeitung der Freitag in der Ausgabe 24/2019 eine interessante Reportage von Nik Afanasjew, unter dem Titel: Die sanfte Rechte, veröffentlicht, den ich Euch sehr empfehlen möchte.
Hier ein kurzer Auszug:
„Das neue „Hambacher Fest“ ist nicht der erste Versuch, Extremisten salonfähig zu machen. Der Hass versteckt sich hier gut zwischen lauter netten Rednern.“
„Im zweiten Jahr hintereinander steigt an diesem Tag das „Neue Hambacher Fest“. Neben der „Patriotenwanderung“ zum Schloss besteht es aus dem „Kongress für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, der tags darauf stattfindet. Initiator der Veranstaltung ist Max Otte. Fondsmanager, CDU-Mitglied und AfD-Sympathisant, der auch die AfD-nahe Erasmus-Stiftung leitet. „Wenn das, was wir hier machen, Rechtspopulismus ist, dann ist es das eben!“, ruft Otte seinen Mitstreitern dieser Tage einmal zu. Stürmischer Applaus.“

Bodo Zeuner, Erinnerung an die erste Pfalzreise im September 2011

Als Grußwort zu unserer Jubiläumsreise in die Pfalz 2019, an der er leider nicht teilnehmen konnte, hat uns der Politikwissenschaftler Dr. Bodo Zeuner aus Berlin diese Erinnerung an seine erste Pfalzreise geschickt.

9 Jahre Politische Radreisen durch die Pfalz unter Leitung von Thomas Handrich – zwei Mal durfte ich dabei sein – mit 77 Jahren reicht meine Mobilität leider nicht mehr aus. Schade, das macht wehmütig. Aber wenn ich mich genauer zu erinnern versuche, dann überwiegt die Freude und die Dankbarkeit für schöne Genuss- und Bildungserlebnisse. Die Pfalz und die Pfälzer und Pfälzerinnen waren ja an allen klassischen (und gescheiterten) Revolutionen in Deutschland beteiligt. Meist, aber nicht immer, schwappten sie aus Frankreich herüber. Heute ist diese Tradition öffentlich unterbelichtet – die Gruppe der Historiker/innen, die sich um Erinnerung bemühen, ist immer noch klein und trägt Züge eines kleinen gallischen Dorfs.
Touris werden heute mit Weinbergen, Weinverkostungen und Weingärten geworben, nicht mit Rebellionen und Revolutionen retro-genervt. Dabei ist das Leben, vor allem in der Pfalz, doch ganz anders: Wein und Rebellion gehören irgendwie zusammen, wie wir mit Thomas bei den Besuchen entlang der Deutschen Weinstraße immer wieder spüren konnten. Nicht nur, dass Weingenuss zuweilen aufmüpfiger macht. Das kam vor, aber im Bauernkrieg wurden einige Rebellengruppen auch durch zu heftigen Konsum in den Weinkellern der Fürstenburgen außer Gefecht gesetzt.
Ich denke, es ist auch der Stolz auf ein – so nur in der Heimat entstehendes – viel Freude spendendes Spitzenprodukt, samt der qualifizierten Arbeit, die darin steckt, die Selbstbewusstsein und Widersetzlichkeit gegenüber angemaßter und ungerechter Herrschaft fördern kann.
Aber der genaue Zusammenhang zwischen Wein und Rebellion ist sicherlich ein lohnendes Untersuchungsthema für alle, die künftig mit Thomas durch seine wundervolle pfälzische Heimat radeln.

Herzliche Grüße
Dr. Bodo Zeuner, Prof. a.D. für Politikwissenschaft, Berlin

Nachruf auf Eberhard Schmalzried

geboren 12.6.1935 – gestorben am 13.6.2019

Vor wenigen Tagen bist Du von uns gegangen. Ich trauere um einen Freund und treuen Politischen Radler.

Zum ersten Mal haben wir uns im Sommer 2012 im Osten der Slowakei kennen gelernt. Wir besuchten die Heimat der slowakischen Roma. Dich trieb um, wie mich, dass mitten in Europa eine Volksgruppe massiv diskriminiert wird und viele von ihnen in slumartigen Behausungen leben müssen. Ich sehe heute noch Dein fragendes, neugieriges Gesicht. Du wolltest der Sache auf den Grund gehen. Ich erinnere mich, wie Du mehrfach damals bei unseren Diskussionen die Frage aufgeworfen hast: „Da muss noch mehr nicht stimmen, da ist noch mehr faul, ich verstehe das noch nicht“. Verfasst hast Du damals einen bebilderten Reisebericht und hast im Freundes- und Bekanntenkreis über die Dich bewegende Reise auch im Rahmen von Vorträgen berichtet. Übrigens, Dein Reisebericht wurde eifrig gelesen, als ich im Mai dieses Jahres wieder mit einer Gruppe vor Ort war. Insbesondere Deine Zeilen zur (erzwungenen) Sterilisierung von Frauen mit Romno-Hintergrund wurden diskutiert. Damals trafen wir eine Selbsthilfe-Organisation, in der sterilisierte Frauen sich gegenseitig stützten und für ihre Anerkennung eintraten.

Im Sommer 2017 wolltest Du – mit Deiner Lore – erneut dabei sein bei der Reise in die Heimat der Roma, kurzfristig musstest Du absagen, Dein Arzt hatte Dir aufgrund aufkommender gesundheitlicher Beschwerden von der Reise abgeraten.

Als ich Dich kennen lernte, bist Du, bereits weit über 70 Jahre alt, immer noch locker über 100 km am Tage geradelt. Ich bin noch immer beeindruckt! Werde ich mich in 20 Jahren auch noch auf den Sattel schwingen können?

Unvergessen bleibt mir eine Szene in den Pfälzer Weinbergen, auch hierher hattest Du mich begleitet: Obwohl ich darum gebeten hatte, dass alle Radler*innen der Gruppe bei einem Halt an einem Aussichtspunkt oberhalb von Frankweiler, dem Autoverkehr ausweichend, sich in einer Parkbucht einfinden sollten, bliebst Du mit Deinem Rad auf der Straße stehen, eine Fahrbahn blockierend. Als ich Dir zu rief: Eberhard, runter von der Straße, entgegnetest Du mir: Du Säckl, ich sichere Euch doch ab, auf mich kommt es sowieso nicht mehr an.

Ich war verblüfft und wiederum beeindruckt.

Die Reisen in die Pfalz auf den Spuren der Aufstandsbewegung in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts hast Du gemocht. Gewundert hast Du Dich dabei im Jahre 2014, als Du das erste Mal dabei warst, über den Umgang einiger Pfälzer mit ihrer Demokratiegeschichte. Du hast damals festgehalten: „An der Radtour hat mich am meisten beeindruckt, dass manche Leute in der Pfalz sich nach zweihundert Jahren noch über ihre Revoluzzer-Ahnen zu schämen scheinen“.

Das Lied der Frankfurter Student*innen zum Frankfurter Wachensturm am 3.4.1833 war Dir Dein Liebstes. Gemeinsam mit Axel hast Du – fast vollständig Text sicher – „Zur freien Republik…“ geschmettert:

1. In dem Kerker saßen
Zu Frankfurt an dem Main
Schon seit vielen Jahren
Sechs Studenten drein,
Die für die Freiheit fochten
Und für das Bürgerglück
Und für die Menschenrechte
Der freien Republik.

2. Und der Kerkermeister
Sprach es täglich aus:
Sie, Herr Bürgermeister,
Es reißt mir keiner aus.
Aber doch sind sie verschwunden
Abends aus dem Turm,
Um die zwölfte Stunde,
Bei dem großen Sturm.

3. Und am andern Morgen
Hört man den Alarm.
O, es war entsetzlich
Der Soldatenschwarm!
Sie suchten auf und nieder,
Sie suchten hin und her,
Sie suchten sechs Studenten
Und fanden sie nicht mehr.

4. Doch sie kamen wieder
Mit Schwertern in der Hand.
Auf, ihr deutschen Brüder,
Jetzt geht’s fürs Vaterland.
Jetzt geht’s für Menschenrechte
Und für das Bürgerglück.
Wir sind doch keine Knechte
Der freien Republik.

5. Wenn euch die Leute fragen:
Wo ist Absalom?
So dürfet ihr wohl sagen:
O, der hänget schon.
Er hängt an keinem Baume
Und an keinem Strick,
Sondern an dem Glauben
Der freien Republik.

Lieber Eberhard, wir werden das Lied zur Jubiläumstour im September wieder singen! Du singst im Geiste mit, dessen bin ich mir sicher. Lebe wohl! Du bleibst unvergessen!

Dein Thomas

Ermutigender Rückblick auf meine beiden ersten Reisen in diesem Jahr

Ich blicke mit Freude zurück auf die Pommernreise (5.-11.5.19). Ich bin froh, diese nicht abgesagt zu haben. 7 Teilnehmer*innen hatten sich eingefunden. Trotz kühler Temperaturen war die Stimmung stets gut in einer duften Gruppe. Abends wärmten wir uns rund um den Kaminofen, vertrauensvolle Gespräche entwickelten sich.

Die Mischung zwischen Inputs zur Geschichte und Gegenwart Polens sowie zum deutsch-polnischen Verhältnis und das Zusammenkommen mit Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten wurde wieder sehr gut angenommen. Die kleine Gruppe ermöglichte es, dass wir uns mehrfach am Küchentisch unserer Gastgeber versammelten und authentische Einblicke in ihren Alltag gewannen. Auch der Bürgermeister aus der Kleinstadt Zlocieniec nahm sich wieder gut eine Stunde Zeit, um uns seine moderne, teilhabe-orientierte Kommunalpolitik (mit Bürgerhaushalt und viel Transparenz) vorzustellen. Wahrscheinlich werde ich im nächsten Jahr wieder eine Radreise durch die Pommersche Seenplatte anbieten.

Gerade zurück gekommen bin ich von einer Studienreise in die Ostslowakei (25.-30.5.19) Erstmals hatte mich eine Gruppe von ehemals Sozialarbeit Studierender „gebucht“. Ursprünglich wollten sie nach Bratislava, ich brachte Ihnen näher, Kosice und das Romathema auszuwählen. Zwei Tage weilten wir in dem ersten ökologischen Hotel der Slowakei in Kosice und lernten die bunte Geschichte der Stadt kennen. Über die aktuellen Entwicklungen im Land führte uns der Buchautor (Slowakei – Der mühsame Weg nach Westen) und Verleger (mediashop.at) Hannes Hofbauer ein. Er war gemeinsam mit der Wirtschaftshistorikerin Andrea Komlossy aus Wien anreist. Die Situation der Sozialarbeit lernten wir im Rahmen eines Besuches in der Fakultät für Sozialarbeit der Universität Kosice kennen.

Anschließend ging es in ein ehemaliges Sanatorium in Herlany, 30 km östlich von Kosice gelegen. Hier befanden wir uns in unmittelbarer Nähe zu Siedlungen, wo viele Slowak*innen mit Romno-Hintergrund leben. Es war für mich sehr bereichernd, gemeinsam mit meinem Leitungskollegen Julius Pecha, in der Gemeinwesenarbeit erfahrene Kolleg*innen die entstandenen Projekte aus unserem YEPP-Projekt (Näheres hierzu unter: yeppeurope.org) anzuschauen und zu diskutieren. Julius gab uns mit mehreren Inputs einen einmaligen Einblick in die Situation, Geschichte und Kultur der Roma in der Ostslowakei. Ein Höhepunkt war der Besuch bei einer Romni-Bürgermeisterin. Sie führte uns ein, wie schwierig es ist, Bürger mit Romno-Hintergund in ein Dorf zu inkludieren, in dem eine Minderheit von Nicht-Roma alles versucht, sie zu diskriminieren. Es geht dabei – wie so oft in der Geschichte der Roma – um die Verweigerung Land erwerben zu können.

Ich würde mich freuen, wenn sich zukünftig wieder eine Gruppe meldet, die an den Themen Inklusion, Gemeinwesenarbeit interessiert ist; und sich nicht scheut, sich dem Thema der am meist diskriminierten Gruppe in Europa, den Roma, zu befassen. Ausschreiben werde ich die Reise nicht individuell, da sie kaum nachgefragt wird.

Thomas Handrich, Juni 2019

Liebe Freunde und Interessierte von Politische Radreisen!

Auch im kommenden Jahr wird es wieder Politische Radreisen geben. Schwerpunkte werden die beiden Reisen  nach Pommern (Polen) bilden, dazu werde ich – zum 2. Mal – auf Entdeckungsreise durch Rheinhessen gehen. Hierzu gleich mehr!

Zunächst einige Sätze zu mir

„Enjoy the limit“, dieser Satz meines chinesischen Freundes wird mir auf meinem Weg durch‘s kommende Jahr Orientierung geben. Leser meiner Webseite (politische-radreisen.de) werden bemerkt haben, dass ich die Reisen dieses Jahres bislang nicht dokumentiert habe. Zu voll war der Terminkalender und „nebenher“ wollte ich dies nicht tun.

Im Rückblick hatte ich zu viel angepackt in den letzten beiden Jahren. Neben den Politischen Radreisen arbeitete ich als Bildungsreferent hauptberuflich und freiberuflich, als Politikwissenschaftler schrieb ich über die Ursachen des Polnischen Rechtspopulismus und ging hierzu auf Vortragsreisen, war im Fundraising für ein Berliner Krankenhaus aktiv und beriet – wie bereits seit 10 Jahren – Roma-Initiativen in Tschechien und der Slowakei. Irgendwann war dann der Akku so ziemlich leer.

In Konsequenz habe ich neue, jüngere Menschen für das Team von Politische Radreisen gewonnen. Alina Voinea unterstützt mich bei den Verwaltungsaufgaben sowie Anne Waninger und Sofie Koscholke bei der Vorbereitung und Durchführung der Reisen. Des Weiteren werde ich für 2018 kein neues Konzept für eine neue Radreise bzw. zu einem neuen Thema entwickeln und anbieten, sondern Bewährtes durchführen.

Meine Bildungsarbeit will ich reduzieren, lediglich jeweils im Dezember 2017 und 2018 sind, gemeinsam mit meiner Kollegin Annette Jensen, in Malente (www.heinemann-bildungsstätte.de)  Workshops zum Thema: „Wege aus der Wachstumswirtschaft“ in Planung.

Mich treibt nach wie vor die Frage um und an, wie wir Alternativen zum bestehenden Vergesellschaftungsmodell entwickeln und stärken können. Die Veränderung des Blickwinkels – von den Rändern her sehen zu lernen – hilft mir dabei, die Defekte unseres Demokratiemodells zu erkennen: Unser Modell ist zum Beispiel außerstande, die große Armut der am meisten diskriminierten Volksgruppe der Roma zu lindern. Ein Besuch im Kosovo (als Experte in einem GIZ-Projekt) verdeutlichte mir vor Kurzem: Durch Wahlen werden korrupte Machtcliquen legitimiert, die vor Ort präsente Internationale Gemeinschaft, viele darunter aus Deutschland, sind eher Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Hierzu und zur Situation der Roma in der Slowakei und im Kosovo möchte ich im kommenden Jahr einiges zu Papier bringen und mich einmischen in die große Politik. 

 

Falls Du/Sie jetzt Lust bekommen hast/haben, geht es HIER zu den geplanten Radreisen für 2018!

Warum biete ich eine Radreise in die Heimat der Roma im Osten der Slowakei an?

Warum haben viele Romagruppen keinen Zugang zu dem, was als „normales“ Leben gilt? Diese Frage treibt mich all die Jahre um, seit ich mit ihnen zusammen arbeite – und auch jetzt bei meiner Recherchereise zur Vorbereitung der Radtour Ende Juni stand diese Frage für mich wieder im Zentrum.

Ausgangssituation: Es verändert sich seit mehreren Jahrzehnten nichts daran, dass ca. 60 – 70 Prozent (mit eher steigender Tendenz) der Roma im Osten der Slowakei fast völlig separiert von der Mehrheitsbevölkerung in großer Armut in Slums leben. Eine höhere Schulbildung, Zugänge zur Arbeitswelt, überhaupt in unsere sogenannte moderne Welt, gibt es für sie nicht. Auch das gerade zu Ende gegangene Jahrzehnt der Romadekade hat keine nachhaltigen Ergebnisse gebracht. Die Sozialhilfe liegt zwischen 100.- bis 200.- EUR, hinzu kommen monatlich 60.- EUR/Person für die Teilnahme an staatlichen Arbeitsaktivierungsprogrammen und 23 EUR Kindergeld pro Kind. Kinderreichtum hat traditionell einen hohen Wert, insbesondere arme Romafamilien gebären viele Kinder, die Romapopulation nimmt prozentual im Land zu. Der slowakische Staat hat keine erfolgsversprechende Strategie zur Inklusion, eine populistische bis nationalistische Stimmungsmache, in der Ängste gegen eine Übermacht der Roma geschürt werden, nimmt zu.

Dabei wäre ein Inklusionsprozess, nach meiner Überzeugung, längerfristig möglich. Ich habe viele Jahre lang Einblick in die Entwicklung mehrerer Dörfer in der Mikroregion Kecervce-Olsawa gewonnen. Dort begleitete und berate ich ein Team von Community-ArbeiterInnen  bei ihren systematischen Versuchen, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Auch andere Projekte im Land habe ich besucht. Anhand dieser Erfahrungen glaube ich die Mechanismen erkannt zu haben, die einen Inklusionsprozess[1] verhindern. Dazu gehört sicher der mangelnde Wille der Entscheidungsträger vor Ort, in der Slowakei und auf  EU-Ebene. Es  wäre falsch, die Ursachen für den ausbleibenden Inklusionsprozess allein in einer „demokratischen Unreife“ der neuen EU-Mitgliedsstaaten oder im verbreiteten Antiromaismus in der Slowakei oder auch in Europa zu suchen. Toleranz gegenüber der Romaminderheit ändert allein an ihrer Situation überhaupt nichts!

Am Abgrund Europas ist mir bewusst geworden, warum unsere Gesellschaften keinen Willen besitzen für einen langfristigen Inklusionsprozess: Wenn alles der Profitmaximierung unterworfen ist, ist eine Inklusion von Randgruppen – nicht nur der Roma – nicht möglich.

Das kapitalistische System fördert nicht das grundlegende Bedürfnis der Menschen nach Wohlstand, Chancengerechtigkeit zur Entfaltung individueller Fähigkeiten, Sicherheit und Frieden. Es diszipliniert durch Drohungen und dem Ausschluss von materiellen Ressourcen für den normalen Lebensunterhalt. Und es schafft sich ideologische Legimation durch Abgrenzung gegenüber unliebsame Minderheiten. Alle mitzunehmen auf die Reise in eine Gesellschaft, in der die Entfaltung jedes Einzelnen die Bedingung für die Freiheit der Gesellschaft ist, das ist nicht das Wesensmerkmal einer kapitalistischen Gesellschaft. Menschen sind in erster Linie als KonsumentInnen von Interesse.

Das ist der zentrale Grund, warum geschätzt 70 Prozent der Roma in  Slums leben. Einige hunderttausend Menschen werden sich selbst überlassen, weil ihre Arbeitskraft nicht wie die der Mehrheitsbevölkerung in jahrhundertelangen Anpassungsprozessen geschult und diszipliniert worden ist. Mit ihnen leben die Ärmsten aus der Nichtromabevölkerung. Nur in der Zeit des Realsozialismus, nach dem zweiten Weltkrieg bis zum Jahre 1989, arbeiteten die Roma zumeist in Fabriken, ihre materielle Existenz war gesichert, ihr Alltagsleben gewann an Struktur. Mit der Wende waren sie, oft ungelernt, die ersten, welche ihren Arbeitsplatz verloren.

Heute  fehlen der Wille und eine ausreichende schulische und berufliche Ausbildungsförderung, um ihre Arbeitskraft an das Anforderungsprofil in modernen, konkurrenzfähigen Betrieben heranzuführen. Zugleich hat der Transformationsprozeß die Gesellschaft in der Slowakei mental verändert. An den Schalthebeln der politischen und ökonomischen Macht sitzt häufig der Aufsteigertypus – rücksichtslos, egoistisch, Karriere orientiert, ohne Empathie. Obwohl es positive Beispiele auf Mikroebene gibt, dass eine gesellschaftliche Teilhabe der ärmsten Romagruppen gelingen kann, gibt es auf der landesweiten Makroebene kein Umsteuern in Richtung einer systemischen, nachhaltigen Inklusion der Roma. Auf diese Weise kann einer verbreiteten Lethargie nicht entgegengewirkt werden. Ähnliche Prozesse von Teilnahmslosigkeit können auch in Familien des abgehängten Prekariats in Mitteleuropa beobachtet werden. Ohne ein Mitnehmen dieser ausgegrenzten und sich mittlerweile selbst ausgrenzenden gesellschaftlichen Gruppen in die Arbeits- und Lebenswelten unserer Gesellschaften fallen wir hinter den Geist der Aufklärung zurück. Demokratie ist nur möglich, wenn alle Menschen gleichberechtigten Zugang zur Bildung und Arbeit haben!

Wie kann eine erfolgreiche Inklusion – nicht nur der Roma – gelingen? Darüber möchte ich mit den Mitreisenden diskutieren. Hoffnung gibt mir meine gewonnene Erkenntnis, dass es längst Wege für eine erfolgreiche Inklusion der Romagruppen in die Mitte der Gesellschaft gibt. Die nötigen Instrumente sind bekannt. Dies möchte ich Euch während der Reise zeigen!

Thomas Handrich, Vogelsdorf, den 15.05.2017

[1]Ich verstehe unter Inklusion einen Prozess zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in der Slowakei. Ziel dieses Prozesses ist es, dass sich die slowakischen Romagruppen aktiv in das Gemeinwesen und in die Arbeitswelt einbringen, indem sie ihre bisherigen Nachteile bei der schulischen und anschließenden Ausbildung sukzessive abbauen und gleiche Zugänge zur Arbeitswelt bekommen wie die slowakischen Nichtromagruppen. Umgekehrt ist es notwendig, zum Beispiel durch ein umfassendes Armutsbekämpfungsprogramm, dass auch die Nichtromagruppen in das gesellschaftliche Leben einbezogen werden, die ebenfalls ausgegrenzt sind.  Durch die sichtbare Verbesserung der Lebenssituation ließe sich auch der verbreitete Antiromaismus in der Nichtromawelt abbauen. Es normalisiert sich dadurch nicht nur das Leben der Roma (eigenes legales Haus, bessere Bildung, Arbeit) selbst, sondern auch die Beziehungen zwischen Roma und Nichtroma in der Slowakei.

Endlich wird das Mahnmal für die verfolgten Sinti und Roma heute eingeweiht

<- Erkenntnisse                                                 Stellungnahme Taz-Artikel->

Veröffentlicht am 24. Oktober 2012 von Thomas Handrich | Hinterlasse einen Kommentar

Ich freue mich sehr, dass heute das Mahnmal eingeweiht wird. Verbunden sind damit für mich mehrere Hoffnungen:

Eine wachsende Erkenntnis in breiten Teilen unserer Gesellschaft, dass Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung vieler Sinti und Roma seit dem 16. Jahrhundert und vor allem im Nationalsozialismus endlich Eingang findet in die deutsche Erinnerungskultur. Der versuchte Genozid an den Juden, die Shoah, ist heute vielfach erforscht, das ist gut so; der Genozid an den Sinti und Roma, die Porojmos, weit weniger. Wer weiß heute schon, dass bereits vor den Olympischen Spiele von 1936 die Berliner Sinti und Roma aus der Stadt vertrieben wurden, indem sie in Sammellager vor den Toren der Stadt eingepfercht wurden, bevor sie dann weinige Jahre später in die Konzentrationslager deportiert und vielfach ermordet wurden. Es dauerte viele Jahrzehnte nach 1945, bis der deutsche Staat endlich anerkannte, dass Sinti und Roma seit 1937 rassistisch verfolgt wurden. Vordem entschieden  Rassenhygieniker, welche in der Nazizeit am rassehygienischen Institut arbeiteten, und dann auch noch in der Nachkriegszeit (!) gutachterlich tätig waren, über Wiedergutmachungsansprüche der überlebenden Sinti und Roma.
Die Überwindung der negativen Zuschreibung von nicht „zivilisierbaren“ Roma in unseren Medien. Gerade kürzlich las ich, groß aufgemacht auf Seite drei, in meiner Regionalzeitung MOZ (Märkische Oderzeitung) unter der Überschrift „Nachrichten aus einer anderen Welt“ einen Artikel über ein Romaghetto nahe der slowakischen Stadt Košice. Beim Lesen des Artikels gewinnt man den Eindruck, dass tatsächlich weitgehend entzivilisierte Roma in dem Ghetto Lunik IX hausen. Warum sucht sich der Autor ausgerechnet dieses Ghetto zur Berichterstattung „aus einer anderen Welt“? Warum beschreibt er nicht andere Romasiedlungen, die sich zuhauf im Osten der Slowakei finden, in denen es Ansätze zur Selbstorganisation, Zusammenhalt und Anstrengungen zur Verbesserung ihrer Lebenssituation gibt? Warum verweist er nicht auf die fortwährende Ausgrenzung der Roma durch die Mehrheitsbevölkerung vom Arbeitsmarkt? Es ist müßig darüber nachzudenken, ob der Autor mit seiner Reportage die Erwartungen der Leserschaft bedienen möchte oder selbst dieses Bild pflegt. Ergebnis ist in beiden Fällen der Stereotyp von unzivilizierten Roma. So werden rassistische Vorurteile weiter gepflegt!

Jedoch ist ein verbreiteter Rassismus nicht das alleinige Hauptproblem. Die Dominanz neoliberaler Politik – nicht nur innerhalb der EU – vertieft die Ausgrenzung der Roma in vielen Gesellschaften Europas. Sie waren die Ersten, die nach 1989 – zumindest in den Ländern des Realsozialismus – eine vordem sichere Arbeit und damit auch ihre existenzielle Sicherheit verloren haben. Tatsächlich haben viele Romagruppen ihren zivilisatorischen Halt verloren (übrigens ähnlich rechter und gewaltbereiter Hooligangruppen in Deutschland, wie sie zum Beispiel in Rostock, Dresden um die Fußballszene anzutreffen sind). Die Verunsicherung hat breite Gesellschaftsgruppen erfasst und einen quasi natürlichen Nährboden für Abgrenzungsreaktionen der Mehrheitsgesellschaft geschaffen. Seit Jahrhunderten werden Roma als Ventil für Schuldzuschreibungen benutzt, so auch Heute und wohl auch Morgen. Die Länder Europas sind gegenwärtig, auch in der Dekade der Roma-Inklusion, nicht imstande, der Ausgrenzung entgegenzuwirken, da ihre neoliberalen Ordnungsprinzipien selbst Motor einer zunehmenden Ausgrenzung sind. Voraussetzung für einen Inklusionsprozeß  der Roma ist eine Armutsbekämpfungspolitik der Europäischen Union.

Hier fällt es mir derzeit schwer, hoffnungsvoll zu sein.

“Ich wünsche ich mir, dass das scheinbar Unmögliche gelingt”

<- Antiziganismus

Veröffentlicht am 13. Mai 2012 von Thomas Handrich | Hinterlasse einen Kommentar

Ein Interview mit dem Rad-Reise-Veranstalter Thomas Handrich

Frage: Warum verschleppst  Du uns hier bis fast in die Kapaten?

Thomas Handrich: Weil wir hier viel über uns selbst und die Roma lernen können.

Was denn?

Zum Beispiel  über unsere Vorurteile, die über die Jahrhunderte gewachsen  sind.

Ich habe mich lange nicht mit dem Schicksal der Roma beschäftigt, weil ich keine Kontakte  zu ihnen hatte und nicht die Empathie für sie empfunden habe. Ich  wusste gar nicht, dass es die Roma auch nach dem Krieg noch Jahrzehnte lang  so  schwer hatten, als rassistisch Verfolgte in Deutschland Anerkennung zu finden.

Wie  bist Du darauf gekommen, Dich näher mit den Roma zu beschäftigen?

Bei dem Verein, bei dem ich  arbeite, kam eine Anfrage, einer österreichischen Stiftung. Sie wollte wissen, ob wir uns an einem Projekt mit Roma beteiligen wollten.

Und wie bist Du auf Kosice gekommen?

Dem Betreiber des dortigen Stahlwerks US Steel wurde nachgesagt, er würde sich intensiv für die Integration der Roma engagieren. Ich bin dann hier her gefahren und habe rasch herausgefunden, dass dies nicht der Fall war. Zugleich stellte ich fest, dass die Segregation der Roma, abgesehen von dem Romaghetto Lunik IX, nicht in der Stadt, sondern in den Dörfern im Umland am Stärksten ist.  Dort habe ich dann einige gefunden, die sich sehr für die Verbesserung der Lebensbedingungen in ihren abgelegenen Dörfern einsetzen. Mit ihnen habe ich dann  den Plan für eine Situationsanalyse entwickelt. Jugendliche gingen los und fragten ihre Altersgenossen, was sie verändert sehen möchten. Das Gleiche fragten sie ihre Bürgermeister. Nun, zwei Jahre später, arbeiten Bürgermeister und “young leaders” beim Aufbau eines Jugendclubs zusammen. Langfristig wünsche ich mir, dass den Jugendlichen das scheinbar Unmögliche  gelingt: Der Schritt in die wirtschaftliche Selbstständigkeit. Von den Teilnehmern der Studienreise erhoffe ich mir dafür Anregungen.

Herlany, 13. Mai 2012

Interview: Robert Fishman