<- Erkenntnisse Stellungnahme Taz-Artikel->
Veröffentlicht am 24. Oktober 2012 von Thomas Handrich | Hinterlasse einen Kommentar
Ich freue mich sehr, dass heute das Mahnmal eingeweiht wird. Verbunden sind damit für mich mehrere Hoffnungen:
Eine wachsende Erkenntnis in breiten Teilen unserer Gesellschaft, dass Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung vieler Sinti und Roma seit dem 16. Jahrhundert und vor allem im Nationalsozialismus endlich Eingang findet in die deutsche Erinnerungskultur. Der versuchte Genozid an den Juden, die Shoah, ist heute vielfach erforscht, das ist gut so; der Genozid an den Sinti und Roma, die Porojmos, weit weniger. Wer weiß heute schon, dass bereits vor den Olympischen Spiele von 1936 die Berliner Sinti und Roma aus der Stadt vertrieben wurden, indem sie in Sammellager vor den Toren der Stadt eingepfercht wurden, bevor sie dann weinige Jahre später in die Konzentrationslager deportiert und vielfach ermordet wurden. Es dauerte viele Jahrzehnte nach 1945, bis der deutsche Staat endlich anerkannte, dass Sinti und Roma seit 1937 rassistisch verfolgt wurden. Vordem entschieden Rassenhygieniker, welche in der Nazizeit am rassehygienischen Institut arbeiteten, und dann auch noch in der Nachkriegszeit (!) gutachterlich tätig waren, über Wiedergutmachungsansprüche der überlebenden Sinti und Roma.
Die Überwindung der negativen Zuschreibung von nicht „zivilisierbaren“ Roma in unseren Medien. Gerade kürzlich las ich, groß aufgemacht auf Seite drei, in meiner Regionalzeitung MOZ (Märkische Oderzeitung) unter der Überschrift „Nachrichten aus einer anderen Welt“ einen Artikel über ein Romaghetto nahe der slowakischen Stadt Košice. Beim Lesen des Artikels gewinnt man den Eindruck, dass tatsächlich weitgehend entzivilisierte Roma in dem Ghetto Lunik IX hausen. Warum sucht sich der Autor ausgerechnet dieses Ghetto zur Berichterstattung „aus einer anderen Welt“? Warum beschreibt er nicht andere Romasiedlungen, die sich zuhauf im Osten der Slowakei finden, in denen es Ansätze zur Selbstorganisation, Zusammenhalt und Anstrengungen zur Verbesserung ihrer Lebenssituation gibt? Warum verweist er nicht auf die fortwährende Ausgrenzung der Roma durch die Mehrheitsbevölkerung vom Arbeitsmarkt? Es ist müßig darüber nachzudenken, ob der Autor mit seiner Reportage die Erwartungen der Leserschaft bedienen möchte oder selbst dieses Bild pflegt. Ergebnis ist in beiden Fällen der Stereotyp von unzivilizierten Roma. So werden rassistische Vorurteile weiter gepflegt!
Jedoch ist ein verbreiteter Rassismus nicht das alleinige Hauptproblem. Die Dominanz neoliberaler Politik – nicht nur innerhalb der EU – vertieft die Ausgrenzung der Roma in vielen Gesellschaften Europas. Sie waren die Ersten, die nach 1989 – zumindest in den Ländern des Realsozialismus – eine vordem sichere Arbeit und damit auch ihre existenzielle Sicherheit verloren haben. Tatsächlich haben viele Romagruppen ihren zivilisatorischen Halt verloren (übrigens ähnlich rechter und gewaltbereiter Hooligangruppen in Deutschland, wie sie zum Beispiel in Rostock, Dresden um die Fußballszene anzutreffen sind). Die Verunsicherung hat breite Gesellschaftsgruppen erfasst und einen quasi natürlichen Nährboden für Abgrenzungsreaktionen der Mehrheitsgesellschaft geschaffen. Seit Jahrhunderten werden Roma als Ventil für Schuldzuschreibungen benutzt, so auch Heute und wohl auch Morgen. Die Länder Europas sind gegenwärtig, auch in der Dekade der Roma-Inklusion, nicht imstande, der Ausgrenzung entgegenzuwirken, da ihre neoliberalen Ordnungsprinzipien selbst Motor einer zunehmenden Ausgrenzung sind. Voraussetzung für einen Inklusionsprozeß der Roma ist eine Armutsbekämpfungspolitik der Europäischen Union.
Hier fällt es mir derzeit schwer, hoffnungsvoll zu sein.
2 Gedanken zu „Endlich wird das Mahnmal für die verfolgten Sinti und Roma heute eingeweiht“