Auf den Spuren der Besiegten

Ein Interview mit Hellmut G. Haasis

Dieses Interview mit dem Historiker, Schriftsteller und Verleger Hellmut G. Haasis führte Thomas Handrich im April 2012 in Berlin.

Thomas Handrich: Vor über 40 Jahren erforschten Sie in Archiven die in Vergessenheit geratene Pfälzer Demokratiebewegung der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Warum?

Hellmut G. Haasis: Im Rahmen meiner Doktorarbeit (Emanzipationsforderung „Mündigkeit“) bin ich durch den DDR Historiker Heinrich Scheel auf Quellen gestoßen, die überhaupt nicht dem Gruselbild der Französischen Revolution entsprachen, welches Blut, Terror und Schrecken nach Deutschland gebracht haben soll: Beschwerdebriefe gegen die Obrigkeit über die elende soziale Situation wurden hier verfasst, Rathäuser gestürmt, Freiheitsbäume errichtet, öffentlich diskutiert und getanzt, aus eigener Macht Gemeinderäte gewählt, im äußersten Fall sogar Nationalgarden aufgestellt und die Offiziere selbst gewählt. Insbesondere in der Pfalz hat es an allen Ecken der Landschaft gerappelt. Das erste Dorf in Deutschland, welches bereits 16 Tage nach dem Sturm auf die Bastille das alte Regime stürzte, war Fischbach bei Dahn in der Südwestpfalz. Die Fischbacher Bauern vertrieben den feudalen Erbpächter, teilten dessen Äcker, Wiesen und den bisher herrschaftlichen Wald unter sich auf. In vielen Dörfern der Pfalz geschah Ähnliches. Zum revolutionärsten Ort der Pfalz und über Jahrzehnte zu einem Zentrum der Demokratiebewegung entwickelte sich das Städtchen Bergzabern, im äußersten Süden, fast an der Grenze nach Frankreich.

Thomas Handrich: Hier besetzten im Oktober 1789 demokratische gesinnte Bürger das Rathaus, sperrten den Gemeinderat aus und läuteten die Sturmglocken. Drei Jahre später riefen die Bürgerinnen und Bürger der Stadt die Republik Bergzabern aus.

Hellmut G. Haasis: Ja, diese Republik ist mir der liebste aller Freistaaten. Hier lebte der republikanische Geist, er war durch seine Randlage nahe der deutsch-französischen Grenze offen, international und kräftig rebellisch. Im Herbst 1792 lamentierten die Bergzaberner nach einer abermaligen Freiheitserklärung nicht lange herum: Sie bewaffneten sich als Bürgermiliz und schützten sich erfolgreich vor den Truppen der Feudalherren (Pfalz-Zweibrücken). Auch französische Freiwillige wurden hinzu gerufen. Über 30 junge Bergzaberner Frauen spielten eine bedeutende Rolle. Sie drohten, sich andere Männer zu suchen, wenn die hiesigen nicht die Freiheit verteidigen würden. Aus republikanischem Internationalismus wurde ein Antrag auf Mitgliedschaft in der französischen Nationalversammlung gestellt. Im März 1793 nahm der Nationalkonvent die kleine südpfälzische Republik auf, über 20 Dörfer um Bergzabern hatten sich dem ersten deutschen Freistaat angeschlossen.
Die republikanische Grundhaltung hielt sich in Bergzabern und in der Pfalz in den darauffolgenden Jahrzehnten, trotz wiederkehrender Repression. Die bayrische Obrigkeit schaffte es nach 1816 nicht, die demokratischen Institutionen der Französischen Revolution abzuschaffen. Die Menschen und nicht die Paragraphen verteidigten den Sonderstatus in der Pfalz. Dafür schickten die Pfälzer immer radikaldemokratische Landtagsabgeordnete nach München in den bayerischen Landtag. Damals war es noch selbstverständlich, dass ein Abgeordneter nach der Wahl dem Auftrag seiner Wähler treu blieb. Das Hambacher Fest von 1832 konnte nur hier, wo die demokratische Opposition am Stärksten war, stattfinden. Die tonangebende Führungsschicht beim Hambacher Fest stammte aus der alten Revolutionszeit. Schon ihre Väter wie Großväter samt Großmütter waren damals aufgestanden. Die Vergesslichkeit gegenüber solchen Anfängen war noch nicht als Zentralpunkt der Medien- und Erziehungspolitik erfunden.

Thomas Handrich: Der Sonderstatus erklärt auch, warum die beiden Hauptaktivisten des Hambacher Festes, Wirth und Siebenpfeiffer, beim Prozess in Landau freigesprochen wurden. Wie kam dieser Freispruch zustande?

Hellmut G. Haasis: Das unabhängige Geschworenengericht sprach beide frei, was für die bayrische Obrigkeit eine ungeheuerliche Provokation bedeutete. Der bayrische Kriegsminister Wrede saß selbst im Gerichtssaal, mehrere Tausend seiner Soldaten lagen in der Festungsstadt, zum Eingreifen bereit. Zweieinhalb Wochen dauerte der Prozess, in einem großen Saal mit über 800 Zuhörern. Die Hambacher Festredner waren angeklagt, zum Umsturz der bayrischen Staatsregierung aufgefordert zu haben. Acht Stunden lang dauerte zuletzt die Verteidigungsrede von Wirth. Seine Hauptthese war, dass die deutschen Fürsten selbst Hochverräter seien und der Widerstand gegen sie Pflicht. Publikum und Geschworene wurden mitgerissen. Alle 12 Geschworenen beschließen für alle Angeklagten den Freispruch, die Pfalz feiert. Die Demokraten hatten für die Nachrichtenverkündung ein eigenes Telegraphensystem erfunden: weiße Tücher für Freispruch und rote Tücher für Verurteilung. 28 Minuten nach Urteilsverkündigung erreichte die Nachricht bereits Neustadt an der Weinstraße, immerhin 28 km entfernt.
Danach wurden die Hambacher wegen anderer Delikte, wie angeblicher Beamtenbeleidigung oder Verstöße gegen die Pressezensur erneut vor niedrigere Gerichte gestellt. Hier gab es keine Geschworenen, die Angeklagten wurden verurteilt und inhaftiert. Siebenpfeiffer kam auf abenteuerliche Weise aus dem Gefängnis. Wirth war längere Zeit im Kaiserslauterer Zentralgefängnis der Pfalz inhaftiert, in dieser Zeit entwickelte sich bei ihm eine Psychose. Übrigens nutzten viele verfolgte Demokraten aus ganz Deutschland, auch nach Niederschlagung des Aufstandes von 1848/49, weiterhin Bergzabern als Unterschlupf auf ihrer Flucht ins französische Straßburg.

Thomas Handrich: Ich bin in der Pfalz aufgewachsen und zur Schule gegangen. Ich kann mich erinnern, dass in der Ortschronik meines Dorfes Rheingönheim die „Franzosenzeit“ nicht gut weg kam: Sie hätten geplündert, Land und Vieh geraubt und somit nachhaltig das deutsch-französische Verhältnis beschädigt. Warum blieb das demokratische Erbe jener Zeit im historischen Gedächtnis so lange verborgen?

Hellmut G. Haasis: Weil die nationalistische Gegenseite einfach stärker war, nach blutiger Niederwerfung der freiheitlichen-demokratischen Alternative in unserer Geschichte. Die Demokratiebewegung war nach der Niederschlagung der Reichsverfassungskampagne von 1848/49 und der Etablierung des preußischen Obrigkeitsstates erst einmal für längere Zeit zu Ende. Es kam zu massenhaften Verhaftungen, Berufsverboten, Enteignungen und zu einer Auswanderungswelle, vor allem in die Vereinigten Staaten. Dort kämpften die südwestdeutschen Demokraten, der Bekannteste von vielen war Friedrich Hecker, im amerikanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Unionisten für die Abschaffung der Sklaverei. Publikationen zur Demokratiebewegung im Südwesten Deutschlands gab es keine mehr, unter der preußischen Pickelhaube wurden solche abwegigen Überlieferungen nicht mehr geduldet. Die Demokraten blieben dauerhaft außer Landes. Die Machtübernahme der Nazis verschärfte das antidemokratische Debakel. Bis heute gibt es in der Pfalz kein geistiges Zentrum für die historisch-politische Aufarbeitung jener Zeit. Hinzu kommt, dass das Akademikermilieu in Deutschland insgesamt vom dominierenden Deutschnationalismus unterworfen wurde. Obwohl unsere Gesellschaft heute ganz offensichtlich in einer großen Sinnkrise steckt und alternative Gesellschaftsformen neu gedacht werden müssten, gibt es seitens der Wissenschaft nur sehr wenige Denkanstöße. Die Beschäftigung mit historischen Widerstandsbewegungen könnten hierfür wichtige Fragestellungen liefern. Leider ist die akademische Welt eingefangen in Verwaltungs- und Sparzwänge, ohne Mut und Gestaltungskraft. Jeder denkt zuerst dran, wie er seine wacklige Planstelle festigen kann. Es gibt in Sachen demokratischer Widerstandsgeschichte nicht mal einen fruchtbaren Meinungsaustausch untereinander.

Thomas Handrich: Sie haben bei Ihren Recherchen zur Demokratiegeschichte von unten immer wieder verschüttete Geschichte und Literatur ausgegraben. Wie gingen Sie bei Ihrer Recherche vor?

Hellmut G. Haasis: Ich konzentrierte mich auf die Suche nach Originalquellen, nach unverfälschter Geschichte von unten. Die großen Militärbewegungen haben mich weniger interessiert, eher schon die historischen Niederschriften von lokalen Geschichtsschreibern. Auch Berichte von Spitzeln waren sehr aufschlussreich. Wie man Quellen studiert, das habe ich in meinem Theologiestudium von der philologischen Sprachforschung gelernt. Auf der Suche nach der vermeintlichen absoluten Wahrheit geht man hier viel präziser mit Quellen um, fast schon mit der Lupe. Textentstehung, unterschiedliche Interpretationen und Redaktionseingriffe werden hier genauestens untersucht. So habe ich gelernt, fälschliche Interpretationen historischer Quellen zu erkennen. Diese Mühe machen sich Historiker hierzulande in der Regel nicht. Sie haben einfach viel zu viel Quellen, die ihre Aufmerksamkeit ins Unendliche wegschwemmen.
Der einzige Revolutionsroman der Aufstandsbewegung von 1849, die „Freischärlerin“ von F.A. Karcher, wurde anfangs verdrängt und galt selbst in der pfälzischen Regionalforschung als verschollen. Ich fand den Roman wieder bei der Auswertung von Regionalbiographien und habe die Neuausgabe in die Wege geleitet. Karcher hat in seinem Roman, anders als manch klassisch gewordener Schriftsteller, auch nach der vernichtenden Niederlage die Ideale der revolutionären Demokratie nicht preisgegeben und sie über finstere Zeiten hinwegzuretten versucht. Der Roman dokumentiert die revolutionären Anfänge unserer Demokratie, die allzu leicht in Vergessenheit gerieten.

Thomas Handrich: Wie reagierte die Öffentlichkeit auf Ihre Recherchen und Publikationen zur Aufstandsbewegung in der Pfalz?

Hellmut G. Haasis: Seitens der Historiker gab es wenig Reaktionen. Sie sind zunftähnlich eingebunden, bilden Zitierkartelle, und wenn du dort nicht drin bist, bist du halt „draußen vor der Tür“. Ich wurde nie zu Kongressen eingeladen oder zur Mitarbeit in einem Sammelband oder einer Zeitschrift. Das Denken von unten passt nirgends in die offizielle Geschichtsschreibung. Meine Bücher, auch die dreibändige Ausgabe der „Spuren der Besiegten“, wurden rezensiert nur vom überregionalen Feuilleton (bis zur ZEIT), nicht von Fachkollegen. Das Buch „Morgenröte der Republik“ verkaufte sich sehr schlecht, es gab nur wenige Nachfragen. Nachdem ich Karchers Roman „Die Freischärlerin“ entdeckt und 1977 publiziert hatte, wurde ich in Kaiserslautern als Maoist angeschmiert. In Fischbach zeigte der Bürgermeister ebenfalls wenig Interesse an der revolutionären Geschichte seines Dorfes, ihn interessierte ausschließlich sein Finanzhaushalt. In Bad Bergzabern zögerte der Veranstalter, bei einer Jubelveranstaltung im Jahre 1989, mir auch nur ein winziges Honorar für jahrelange Arbeiten auszusetzen. Erst als ich ankündigte, ich würde den Staub des ungastlichen Ortes von meinen Füßen schütteln und den Ort verlassen, stürmte ein hohes Tier heran und erklärte alles zum „Missverständnis“.

Thomas Handrich: Das Hambacher Fest von 1832 wird heute als Geburtsstunde der deutschen Demokratie bewertet. In wenigen Wochen jährt sich das Ereignis zum 180. Mal. Sie gestalteten vor 30 Jahren zum 150. Jahrestag eine eigenständigen Spaziergang nach Hambach. Was war Ihre Motivation?

Hellmut G. Haasis: Einige in unserer Gruppe, die sich mit der Geschichte des Hambacher Festes beschäftigt haben, wollten beim Jahrestag selber dabei sein. Die Reduzierung von Hambach auf die Idee des national geeinigten und „freien“ Deutschlands war uns ein Dorn im Auge, sie entspricht einfach nicht der Wahrheit: Hambach war zugleich sozialer Protest und Ausdruck internationaler republikanischer Solidarität. Und wenn schon Freiheit: wessen Freiheit? Welche Kleider trägt die Freiheit der neuen Herrscher von Parlaments Gnaden?
Wir waren zu Siebt, die grüne Bewegung war damals erst in ihren Anfängen und noch unschuldig herrschaftskritisch. Nach einer Ankündigung unseres Spaziergangs (auch in meinem Hambach-Buch „Volksfest, sozialer Protest und Verschwörung“) wurden die pfälzischen Sicherheitsorgane von Neustadt/Weinstraße nervös und bereiteten sich auf „unseren Terror“ vor. Am Neustädter Bahnhof wurden wir von dem Sondereinsatzkommando Kaiserslautern empfangen, beim Spaziergang von Polizeimotorrädern eskortiert, von einem über uns stehenden Hubschrauber beobachtet. Am Fuße des Berges wurden wir gebührend nach Waffen durchsucht. Alles Maßnahmen, die uns in die Ecke einer kriminellen Vereinigung rücken sollten und den autoritären, nicht demokratischen Charakter der bundesdeutschen Demokratie offen legten. Dieses wenigstens ist uns schließlich gelungen.

Thomas Handrich: Wie aktuell sind die damaligen Forderungen der Hambacher heute?

Hellmut G. Haasis: Bei meinen Recherchen zum Hambacher Fest habe ich herausgefunden, dass die radikalsten Kritiker der damaligen Verhältnisse Leute aus der völlig verarmten Landbevölkerung waren und überhaupt nicht in Hambach dabei sein konnten. Sie hatten schlichtweg nicht das Geld für die Reise. In den Dörfern gab es statt dessen starke soziale Proteste gegen die Besitzbürger und die Verwaltungen. Beschwerdebäume wurden errichtet. Das Hambacher Fest war mehr als nur politischer Protest gegen den Obrigkeitsstaat und für einen einheitlichen verfassten Rechtsstaat samt Presse- und Versammlungsfreiheit. Schaut man sich die Geschichte genauer an, wird damals bereits der Grundwiderspruch der bis heute sich kraftlos dahin schleppenden bürgerlich-liberalen Bewegung erkennbar. Breite Bevölkerungsschichten blieben arm beziehungsweise verarmten weiter. Heute stehen wir wieder einmal an einem Scheideweg. Neoliberale Dogmen führen auf zwischenstaatlicher Ebene zum Beispiel innerhalb der EU und innerhalb der Gesellschaften zum Ruin der Schwächeren, Armut wird geschaffen. Das kann nicht gut gehen. Die Demokratie steckt heute im Schlamassel, die Kluft innerhalb der Gesellschaft lässt ein Mehr an Demokratie nicht zu. In dieser Situation ist es hilfreich, dass diejenigen, die sich auf den Weg in eine bessere Gesellschaft machen wollen, frühere Widerstandsbewegungen studieren. Die Bergzaberner besetzten damals 1789 das Rathaus, klagten gegen Stadtrat, Gericht und den Steuervollzug herrschaftlicher Beamter. Auch durch den dabei gezeigten Mut und die praktizierte Solidarität formte sich eine Oppositionsbewegung, die drei Jahre später in der Ausrufung einer Republik gipfelte. Die Occupy-Bewegung von heute ist viel zu brav und noch ohne klare Forderung. Ein Beispiel, wie stark innerhalb kurzer Zeit eine Straßendemokratie die Verhältnisse zumindest vorübergehend zum Tanzen bringen können, zeigt die Volksbewegung gegen das Projekt Stuttgart 21.

Thomas Handrich: Bleiben wir noch einen Moment bei historischen Analogien. Im Pfälzer Aufstand vom Mai 1849 forderte der Revolutionsausschuss die Verteidigung der demokratischen Verfassung, welche ein Jahr zuvor in der Frankfurter Paulskirche beschlossen wurde. Erst exakt hundert Jahre später setzte sich in Deutschland auf Dauer eine demokratische Verfassung durch. Wie ist es heute – Ihrer Meinung nach – um sie bestellt?

Hellmut G. Haasis: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. – Aber wo geht sie denn hin? Diese hinterlistige Frage von Brecht ist hochaktuell, wie uns die direkte Einflussnahme von Lobbyisten aus der Wirtschaft auf Politiker und Repräsentanten des Staates beweisen. Die Lobbyisten, die man eigentlich keinen Tag innerhalb der Bannmeile dulden dürfte, erarbeiten ja sogar Gesetzesvorlagen. Und wir Steuerbürger müssen sogar ihre hohen Gehälter und Bürokosten bezahlen. Es kann nicht sein, dass der Bürger mit seiner Stimmabgabe an den Parlamentarier für 4 Jahre sein Mitbestimmungsrecht aufgibt. Die Staatskasse ist Bürgerkasse. Wenn wir die Herrschaft darüber verlieren, sind wir rettungslos verkauft. Wir brauchen auf allen Ebenen mehr Kontrolle durch die Bürger, beispielgebend könnte eine dritte Abgeordneten-Kammer sein, in der Bürgerräte vertreten sind. Übrigens lassen sich in alten, vordemokratischen Gesetzbüchern kluge Regelungen zur Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit von Richtern und Geschworenen entdecken. Zum Beispiel sind im Württembergischen Landrecht aus dem Jahr 1610 Maßnahmen zum Schutz gegen Klüngelei, Machtmissbrauch, Diebstahl und gegen vorurteilsvolle Richter und Zeugen formuliert worden. Ich staune immer wieder darüber, wie klug Rechtskundige damals schon waren.

Thomas Handrich: In wenigen Wochen jährt sich das Hambacher Fest zum 180sten Male. Vor 30 Jahren haben Sie bei Ihre Demonstration mit Freunden eine große grün-rote Fahne mit den Insignien: „Hambacher Fest heute: Whyl, Brokdorf, Gorleben, Startbahn-West“ hinauf aufs Schloss getragen. Was würden Sie heute auf Ihre Fahne schreiben?

Hellmut G. Haasis: Die Hambacher Fahne steht immer noch bei mir zu Hause. Es wäre fatal, wenn die Symbole des Widerstands nicht für kommende Generationen aufbewahrt würden. Was heute auf der Fahne draufstehen sollte, darüber sollten die Leser dieses Interviews nachdenken. Beziehungsweise noch besser wäre es, sich selbst auf den Weg zu machen. Die Fahne muss weitergeschrieben werden.

Herr Haasis, ich danke Ihnen für das Gespräch und freue mich auf Ihre Teilnahme an der Pfalzreise 2012!

Zur Person: Hellmut G. Haasis
„Geboren zwischen Weihnachten und Reinhard Heydrichs (Gestapochef) verdientem Tod in Prag 1942. Aufgewachsen unter einer Kindheitsfahne auf Halbmast, der Vater blieb im Krieg. Seit 50 Jahren ungeehrter Berufsdemonstrant. Seit 1970 Publikationen für die stiefmütterlich abgedrängte demokratische Befreiungslinie in Mitteleuropa, von den deutschen Jakobinern über das Hambacher Fest 1832 zu den 1848ern – und zurück bis ins Hohe Mittelalter. Überall lagen verpennte Chancen unserer Freiheitsgeschichte herrenlos herum. Niemand wollte sie. Aber Freiheit immer mit realem-sozialem Gehalt in die Hand genommen. Den Sondercharakter der pfälzischen Freiheitsbewegung erforschte ich seit 1970, ausgehend von der Mainzer Republik.“