Gehalten auf der Jahrestagung des Bund für Soziale Verteidigung zum Thema: “Demonstrieren und was dann? Gesellschaft gestalten – Demokratie schützen, Gewaltfrei aktiv gegen Rechts! 4. – 6. April 2025 in Hannover.
Die rechtspopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS)1 gewann 2015 mit nur 37,6 Prozent der abgegebenen Stimmen die absolute Mehrheit. 2019 wurde sie wiedergewählt, ebenfalls mit absoluter Mehrheit mit 43,6 Prozent, 2023 blieb PiS mit 35,38 Prozent stärkste Partei, verlor jedoch die Regierungsmehrheit, sie wurde von einem breiten Oppositionsbündnis abgewählt.
Die Wahlbeteiligung lag bei den Wahlen 2015 bei 51,6 Prozent, stieg dann 2019 auf 61,74 und gipfelte 2023 mit einer Wahlbeteiligung von 74,38 Prozent.
A) Gründe für den Wahlsieg der rechtspopulistischen PiS 20152
1. Vertrauensverlust in liberal-bürgerliche Regierung unter Donald Tusk
Vordergründig, so analysierten viele Beobachter, schadeten der Regierung unter Donals Tusk eine kurz vor den Wahlen publik gemachte Abhöraffäre (die der Öffentlichkeit vorführte, wie abschätzend Regierungsvertreter über ihr Land und seine Bürger dachten), mehrere Korruptionsfälle, die jahrelange Seilschaften offen legten, eine angeblich noch aus sozialistischen Zeiten stammende Versorgungsmentalität in unteren Gesellschaftsschichten und allgemeiner: eine vertiefte soziale und kulturelle Spaltung des Landes. Die im September 2015 erfolgte Grenzöffnung Deutschlands für Geflüchtete nutzte das PiS-Lager zu einer wirksamen Angstmache vor einer islamistischen Bedrohung, schließlich galt Tusk als enger Verbündeter Merkels.
2. „Therapie des heilsamen Schocks“ (Balcerowicz-Plan) ist die wahre Ursache für den Vertrauensverlust in die Politik
Nach 1989 wurden die staatlichen Betriebe zerschlagen, die Preise freigegeben, Subventionen abgebaut, Löhne eingefroren, der Außenhandel liberalisiert und die Währung teilweise konvertibel gemacht. Alle Wirtschaftssubjekte sollten zu einem marktkonformen Verhalten gezwungen werden. Der Aufbau sozialstaatlicher Sicherungssysteme sollte irgendwann später stattfinden. Es bildete sich eine neue Wirtschaftsoligarchie, während ein Großteil der Bevölkerung zunächst einen Reallohnverlust von über 20 Prozent hinnehmen musste. Die neue wirtschaftliche und politische Elite, in die sich auch einflußreiche Mitglieder der alten Nomenklatura hinüberretten konnten, war geprägt von Eigennutz, skrupellosem Durchsetzungsvermögen und Klientelismus. So verspielte die weitgehend aus der Solidarnosc-Bewegung hervorgegangene neue politische Klasse rasch ihren moralischen Rückhalt in der Gesellschaft. Die Vorstellung, dass „die da oben“ ihren eigenen Interessen verfolgten und sich nicht dem Gemeinwohl verpflichtet fühlten, verfestigte sich erneut. Die Wahlbeteilung sank bereits bei den Parlamentswahlen 1991 auf unter 50 Prozent.
In der Folge vertieften sich die sozialen und kulturellen Spaltungen in der Gesellschaft. Vor allen aus strukturschwachen Regionen emigrierten in den letzten 20 Jahren mehrere Millionen Menschen in die Wirtschaftszentren der EU.
3. Populistische Wirtschafts- und Sozialpolitik sicherte PiS den Wahlerfolg
Die wirtschaftliche und sozialpolitische Agenda der PiS basierte auf vor der Wahl durchgeführte Umfragen, bei den die Menschen gefragt wurden, wo der Schuh drückt und welche Änderungen wünschenswert sind. Darauf aufbauend entwickelt die PiS ihr Wahlprogramm, deren Forderungen sie dann auch nach den Wahlen umsetzte. Sozialpolitische Ergebnisse waren: Ein recht hohes monatliches Kindergeld, die Senkung des Renteneintrittsalters für Frauen auf 60 Jahre und für Männer auf 65 Jahre, Senkung der Mehrwertsteuer, Bau von Mietwohnungen für Sozialschwache, Ende von Arbeitsverträgen ohne Sozialversicherung, Anhebung des Mindesteinkommens, Inflationsausgleich bei den Gehältern und der Rente. Wirtschaftspolitisch wurde eine Vermögensbesteuerung von Banken und Finanzunternehmen eingeführt, Sondersteuern für Supermarktketten in ausländischer Hand sollten erhoben werden. Teilweise wurde der Staat wieder vermehrt an Unternehmen beteiligt und Privatisierungsvorhaben gestoppt. Die galt insbesondere für ausländisches Kapital. Der Landerwerb ausländischer Investoren wurde gestoppt.
Dabei waren nicht linke Umverteilungsvorstellungen Grundlage der PiS-Politik, sondern aktuelle Umfragen und Stimmungstrends in der Bevölkerung.
B) Gründe für die Abwahl der rechtspopulistischen Partei PiS 2023
In den Parlamentswahlen im Oktober 2023 verlor die PiS die Mehrheit im Parlament. Die PiS akzepierte die Wahlentscheidung, gratulierte dem Wahlsieger.
Die neue Regierung wurde gebildet aus einem breiten Oppositionsbündnis von konservativen bis linken Parteien. Sie verfügt nicht über eine Drei-Fünftel Mehrheit, um Verfassungsänderungen durchzuführen. Zudem blockiert der mit einem Vetorecht ausgestattete polnische Präsident Duda (PiS) Gesetzesänderungen, wie zum Beispiel im Abtreibungsgesetz. Im Mai 2025 finden Präsidentschaftswahlen statt. Das Ergebnis wird darüber entscheiden, ob die neue Regierung wichtige, auf Eis gelegte, Reformvorhaben umsetzen kann oder die PiS ein entscheidender Macht- und Blockadefaktor für die neue Regierung bleibt.
Was waren die Gründe für die Abwahl der PiS bei den Parlamentswahlen im Herbst 2023?
1. Innere Schwäche der PiS: Abnutzungerscheinungen; Falsche Strategien und Korruptionsskandale
Bei den Wahlen 2023 konnte die PiS ihre Stammwählerschaft erreichen, die Wechselwählerschichten oder das Nichtwählerlager jedoch nicht.
Nach 8 Jahren PiS-Regierung mobilisierte der auf Feindbildern (gegen Deutschland, gegen die EU, gegen Migration) aufgebaute PiS-Wahlkampf nicht entscheidend. Die dauerhafte Propaganda gegen die „arroganten Deutschen“ und polnische Interessen unterlaufende EU, die zuvorderst vom PiS-Führer Jaroslaw Kaczynski artikuliert wurde, verlor an Wirkungsmacht. Polen hatte sich, immer wieder Krieg führend gegen die EU, in Europa vollständig isoliert. Das kam nicht gut an bei vielen Polen, die die EU zwar kritisierten, aber doch prinzipiell proeuropäisch eingestellt waren. Auch die Angstmache vor Immigration verfing nicht mehr wie in den Wahlkämpfen zuvor: Waren die in polnischen Medien gezeigten und entsprechend kommentierten angsteinflößenden Bilder von migrantischen Übergriffen (wie zum Beispiel in der Kölner Sylvesternacht 2015/2016) Ausnahmen und nicht Regel im gesellschaftlichen Alltag Deutschlands? Widersprachen die Erfahrungen von Millionen polnischer Arbeitsmigranten in Deutschland nicht den Schreckensszenarien? Die Glaubwürdigkeit der PiS-Politik litt auch durch Korruptionsskandale, so zum Beispiel recherchierten oppositionelle Journalisten kurz vor den Wahlen 2023, dass Regierungsmitglieder an der Erstellung von 350.000 illegalen Einreisevisa (häufig organisiert über die polnischen Botschaften) aus vielen Ländern des Südens gegen Geld beteiligt waren. Auch die Strategie der PiS-Führer einer personalisierten Feindschaft gegen Tusk verfing nicht. Tusk hatte auf viel Geld verzichtet, indem er von Brüssel nach Polen zurückkehrte. Der größte Fehler der PiS war jedoch der Krieg gegen die Frauen.
2. Der Krieg gegen die Frauen bzw. der Strajk Kobiet – der Streik der Frauen
Seit 2016 formierte sich in Polen eine Streikbewegung (Schwarzer Freitag) von Frauen gegen Gesetzesvorhaben, die schwangeren Frauen ihr Recht auf Abtreibung fast unmöglich machten. 2020 wurde dann das bereits zuvor restriktive Abtreibungsverbot nochmals verschärft und vom Verfassungsgericht bestätigt. Auch bei Mißbildung der Föten ist das „Recht auf Leben zu schützen“, so das Urteil. De fakto traut sich nun in Polen kaum ein Arzt, eine Abtreibung vorzunehmen, wenn eine Mißbildung des Kindes vorliegt, obwohl das Leben des Kindes und der Mutter gefährdet sind. Mehrere Frauen haben bislang im Krankenhaus zuerst ihr ungeborenes Kind im Leib verloren und verstarben selbst anschließend an einer Blutvergiftung3. Der Frauen-Streik hat viele, auch vordem nicht politisierte Frauen, mobilisiert. Analysten der Wahl sind sich einig, dass die Mobilisierung der Frauen wesentlich die Abwahl der PiS beeinflusst hat. Bis heute dauern die Proteste an.
3. Mobilisierung von Nichtwähler*innen
„Wir wussten, dass wenn wir viele Bürger*innen mobilisieren können, gewinnen werden.“4
Die Politik der PiS-Regierung re-politisierte viele Polinnen und Polen, die sich viele Jahre aus Enttäuschung vollständig von der tagespolitischen Beobachtung verabschiedet hatten. Sie spürten, dass die Politik der PiS auch ihren Alltag berührte. Dem oppositionellen Lager gelang es im Vorfeld der Wahlen durch große Massendemonstrationen in Warschau (Kampagne der Herzen) mehrfach über eine Million Menschen zu versammeln. Aber auch dezentral gelang die Mobilisierung. Die Wahlbeteiligung stieg von 51,6 (2015) bis zu 74,38 Prozent (2023). Unter den Auslandspolen verdoppelte (!) sich die Wahlbeteiligung. Fast 600.000 gaben ihren Stimmzettel ab, mit einem überwältigenden Übergewicht für die demokratische Opposition.5
4. Geeintes oppositionelles Bündnis
Bereist vor der Wahlen war klar, dass ein breites Parteienbündnis bei einem Wahlsieg unter Führung der Tusk-Partei im Bündnis regieren würde. Es gab Absprachen, bis in die Familien hinein, dass darauf geachtet werden sollte, dass jede der Oppositionsparteien im Bündnis nicht an der 5 Prozenthürde scheitert. Damit sollte das Debakel von 2015 verhindert werden, wo eine nicht ganz geeinte Linke (die neue Linke RAZEM scherte aus) an der 8 Prozenthürde scheiterte und somit der PiS mit 37,6 Prozent der Stimmen zur absoluten Mehrheit verhalf. Die PiS selbst schaffte es nicht, im Vorfeld der Wahl 2023 einen Bündnispartner zu finden. Die rechtsextreme Partei „Konförderation des unabhängigen Polens“ ging auf Distanz zur PiS.
5. Sozialpolitische Zugeständnisse der Liberalen
Die größte Oppositionspartei PO (Bürgerplattform) hatte vor den Wahlen versprochen, dass die sozialpolitischen Errungenschaften der PiS (Herabsetzung des Rentenalters, Kindergeld, Inflationsausgleich etc.) nicht angerührt werden. Damit entfiel ein politisches Alleinstellungsmerkmal aus der Zeit der ersten PiS-Regierung.
6. Medienmacht der PiS blieb begrenzt
Trotz Gleichschaltung der staatlichen Medien ermöglichten starke private Medien, dass sich die Bürger nicht nur regierungsnah informieren konnten. Die Gazeta Wyborcza, die Zeitung des Wählers ist immer noch die auflagenstärkste Zeitung. Die Verstaatlichung des Fernsehsenders TVN scheiterte, er befindet sich in US-amerikanischer privater Hand. Die sozialen Medien entdeckte die PiS erst sehr spät, im rechten Lager war es ausschließlich die rechtsextreme Partei „Konförderation“, welche die sozialen Medien erfolgreich (vor allem in jüngeren Wählerschichten) bespielte.
C Von Polen lernen heisst siegen lernen? – Erkenntnisstransfer nach Deutschland
Polen ist eines der ersten Länder, in denen es gelungen ist, eine rechtspopulistische Partei, nach 8 (!) Jahren Regierung, abzuwählen. Wenn es auch viele Unterschiede zwischen der PiS (zum Beispiel die Bedeutung der katholischen Kirche für die PiS, ihre sozialpolitische Programmatik und regulative Eingriffe in die Privatwirtschaft) und der AFD (Ultraliberal, Kooperation mit Russland suchend, Integration rechtsextremer Gruppierungen in die Partei) gibt, überwiegen gemeinsame rechtspopulistische Merkmale (siehe Fußnote 2).
Vorbemerkungen:
Der Sieg der PiS 2015 zeigte, dass die nicht nur von Angela Merkel als alternativlos bezeichnete „marktkonforme“ Wirtschafts- und Sozialpolitik geändert werden kann, ohne dass dadurch das Wirtschaftsleben und die sozialen Systeme zusammenbrechen. Man stelle sich vor, welchen Aufschrei es in Deutschland gäbe, wenn das Renteneintrittsalter für Frauen auf 60 Jahre und für Männer auf 65 Jahre vorgezogen werden würde? Die Politik der PiS zeigte, dass es Spielräume oder Tabubrüche in der Ausgabenpolitik des Staates gibt, ohne das der Staat zahlungsunfähig wurde, lange bevor sich die deutsche Politik von der selbstverordneten Schuldenbremse verabschiedete.
Der AFD ist der Aufstieg zur einflußreichen Partei gelungen, ohne dass sie über ein ausgeprägtes sozialpolitisches Angebot verfügt. Es spricht vieles (u. a. die enormen Rüstungsausgaben) dafür, dass die neue bundesdeutsche Regierung unter Merz Kürzungen im Sozialbereich vornehmen wird.
Dies würde einer sozial argumentierenden AFD weitere Wählerschichten zutreiben.
Nun aber zu den positiven Lernerfahrungen aus dem Wahlkampf 2023
1. Außergewöhnliche Mobilisierung durch ein breites Bündnis
Die Wahlen 2023 haben nicht die oppositionellen Parteien durch ihren engagierten Wahlkampf gewonnen. Maßgeblich trug die Mobilisierung vieler vorheriger Nichtwähler durch zivilgesellschaftliche Initiativen zum Wahlsieg eines breiten Bündnisses von Links bis zum konservativen Lager bei. Schädlich für die PiS wirkte sich ihr Krieg gegen die Frauen und der Krieg gegen Europa aus. Viele wollten die böse Propaganda gegen auf Selbstbestimmung pochende Frauen und gegen ein liberales, multikulturelles Europa nicht mehr hören. Viele Bürgerinnen und Bürger, die sich lange Jahre aus Enttäuschung von der Politik abgewandt hatten, spürten, dass die Politik des Landes sehr wohl Einfluß auf ihre persönliche Lebensgestaltung hat.6 Allerdings spürten dies die Polen erst nach 8 Jahren Regierung durch die PiS. Wäre es in Deutschland möglich viele Nichtwähler*innen gegen eine mögliche AFD-Regierung bereits vor ihrer Machtübernahme zu mobilisieren?
2. Einigung auf einen Spitzenkandidaten im oppositionellen demokratischen Bündnis
Donald Tusk von der größten Oppositionspartei, der konservativen Bürgerplattform, war der unumstrittene Herausforderer des PiS-Führers Jaroslaw Kaczynski. Konkurrenzen zwischen den Parteiführern traten zurück, dies zeigte auch die reibungslose Besetzung der neuen Führungsriege nach den Wahlen 2023. Deutschland könnte von Polen lernen, wenn sich die demokratischen Parteien ähnlich geschlossen präsentieren könnten.
3. Nicht unterschätzen, wenn die Rechtspopulisten keinen Kooperationspartner haben
2015 gelang es der PiS, sich die fehlende Mehrheit einzukaufen. Deutschland sollte daraus lernen, dass es auch hierzu Lande bei einem ähnlich knappen Wahlausgang möglich ist, dass sich die AFD fehlende Stimmen bzw. Abgeordnete für eine Parlamentsmehrheit einkauft.
4. Fünfprozenthürde kann zum Problem werden
Die PiS hätte 2015 die Wahlen verloren, wenn ein linkes Parteibündnis nicht an der 8 Prozenthürde (gilt für Bündnisse) gescheitert wäre. Das hat 2023 dazu geführt, dass die demokratische Wählerschaft sehr sensibel darauf achtete, dass sich dieses Problem nicht wiederholt.
5. Wie würde sich die AFD nach einem Wahlsieg bei Bundestagswahlen verhalten?
Jaroslaw Kaczynski gratulierte nach der Wahlniederlage Donald Tusk zum Wahlsieg. Das heisst: Auch wenn die PIS rechtsstaatliche Prinzipien (Trennung Legislative von der Exekutive, plural besetzte staatliche Medien) mißachtete, akzeptierte sie die Wahlniederlage? Wäre ähnliches von der AFD zu erwarten?
D) Nachtrag: Situation kurz nach den Präsidentschaftswahlen
Die Präsidentschaftswahl im Juni 2025, bei der der rechtskonservative Kandidat Nawrocki gewählt wurde, unterstreicht, dass die demokratische Erneuerung kein einmaliger Vorgang ist, sondern Kontinuität braucht. Konkret erwies sich die im Herbst 2023 gewählte Regierungskoalition bereits wenige Monate später handlungsunfähig. Im Sommer 2024 scheiterte ein Versuch der größten Regierungspartei, der Bürgerplattform (PO), das Abtreibungsgesetz zu entschärfen. Der kirchennahe Koalitionspartner „Dritter Weg“ verweigerte seine Zustimmung zu diesem Gesetz. Das heißt, das ein zentrales Versprechen der gewählten Regierung – insbesondere gegenüber der Frauenbewegung – gebrochen wurde. Ein Jahr zuvor hatte gerade die Mobilisierung vieler Frauen wesentlich zum Wahlsieg beigetragen.
Das Beispiel verdeutlicht, dass die Wähler*innen gebrochene Versprechen (hier die Lockerung des Abtreibungsverbotes) ihrer gewählten Parteienkoalition bestrafen. Die geringere Wahlbeteiligung (71,63) bei den Präsidentschaftswahlen kann als Indiz gewertet werden, dass hier eine wesentliche Ursache für die Nichtwahl des liberalen Präsidentschaftskandidaten liegt. Nun werden die nächsten Jahre weiterhin vom Dualismus zwischen der EU-zugewandten Regierung und der PiS geprägt sein. Anders als in Deutschland besitzt der polnische Präsident weitaus mehr Macht. Er kann Gesetzesvorhaben mit einem Vetorecht stoppen. Es ist zu erwarten, dass Nawrocki davon Gebrauch machen wird. Befürchtet werden muss, dass sich die Spaltung des Landes weiter vertieft.
Thomas Handrich, 19. Mai 2025 (Teil D verfasst am 3. Juni 2025)
Anmerkungen
1 Die PiS erfüllt alle Kriterien einer rechtspopulistischen Partei: Ihre Führungspersönlichkeiten meinen das „einfache Volk“ gegen das Establishment zu verteidigen, gegen die verbreitete Korruption von Postkommunisten und Wendegewinnern zu kämpfen. Sie wollen sich nicht von einem Verfassungsgericht blockieren lassen und arbeiteten sogleich an einer „Gleichschaltung“ staatlicher Medien mit der Regierungspolitik. Die PiS möchte die sogenannte nationale und kulturelle Identität bewahren vor einer linken, kosmopolitisch denkenden Elite. Es drohe ökonomisch der Ausverkauf Polens durch internationale Konzerne und kulturell – im Bund mit der einflußreichen katholischen Kirche – eine Dominanz von Feministinnen und der LGBT-Community. Die PiS produziert Feindbilder, international gegenüber Deutschland und insbesondere Merkel, national gegenüber „vaterlandslosen Polen der minderen Sorte“ (so die Bezeichnung für das 2016 gegründete Oppositionsbündnis KOD). Angst macht sie vor der Gefahr einer Islamisierung durch Migration. Sie kreiert Verschwörungsmythen, wie um den Flugzeugabsturz nahe Smolensk 2010. Der Bruder des charismatischen PiS-Führers Jaroslaw Kaczynski, der Staatspräsident Lech Kaczynski, kam dabei ums Leben. Donald Tusk, im Bunde mit Putin, soll den Absturz beigeführt haben. Zur nationalistischen Ausrichtung der PiS passt, dass die Opferolle der Polen im 2. Weltkrieg überbetont wird, u. a. indem Verbrechen, die Polen im 2. WK vereinzelt begangen haben, ausgeblendet wurden. Dafür werden neue Heldengeschichten geschaffen, indem zum Beispiel polnische Partisanen, die unmittelbar nach dem 2. WK gegen die kommunistische Regierung kämpften, eine Aufwertung erfahren.
2 Siehe auch: Thomas Handrich, Erscheinungsformen und Ursachen des Rechtspopulismus in Polen, in: Rechtspopulismus, Reihe Bürger und Staat, Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Würtemberg, Heft 1-2017, 67. Jahrgang.
3 http://www.fluter.de/polen-frauen-strajk-kobiet
4 Maciej Andrzejewski in einem vom Autor geführten Interview am 30. April 2025.
5 https://www.poloniaviva.eu/index.php/de/beitraege/wahlergebnisse-der-parlamentswahlen-2023-polen-deutschland-ausland
6 Es wird schwer sein, die politikskeptischen Teile der Gesellschaft dauerhaft zu mobilisieren. Werden sie zur Wahlurne gehen, obwohl viele nicht der Wahlversprechen bislang nicht eingelöst wurden?
