„Widerstand“ – wie mich nach der Rückkehr nach Berlin ein Pferd aus der Pfalz trat


Von Bodo Zeuner

Unsere politische Radreise durch die Pfalz hat alle meine Sinne angesprochen. Ich konnte riechen und schmecken: Waldluft und Wein, Saumagen und Sauerkraut. Ich konnte sehen und staunen: Toscana–Hügel, Felsenwände im dichten Wald, romanische Dome, Nachstellung von Bauernkriegsschlachten mit Zinnsoldaten. Ich konnte hören und manchmal verstehen: Sprechchöre und Lieder auf dem Betzenberg, Witze über die Pfälzer, von Pfälzern laut erzählt, Vorträge der Historiker und Archivare Ralf Übel und Michael Martin, die engagiert die Erinnerung an demokratische Rebellionen in der Pfalz wiederherzustellen suchen und sich dabei in der Liebe zur Genauigkeit von niemandem übertreffen lassen. Auch der Tastsinn wurde bedient. Wir durften die Originale der handschriftlichen Protokolle der beiden Landauer Jakobinerclubs, des deutschen und des französischen, aus der Revolutionszeit nicht nur anfassen, sondern sogar in ihnen blättern.
Ja, und dann wurde auch der Geschichts-Sinn angesprochen. Menschen, jedenfalls heutige, haben die Eigenschaft, neugierig danach zu fragen, wieso sie und die Verhältnisse, in denen sie leben, so geworden sind wie sie sind. Und was früher anders war. Und was und warum sich etwas verändert hat. Und was sich demzufolge künftig verändern kann oder lässt. Vielleicht durch eigenes Handeln. Diese Geschichts-Neugier wurde wunderbar und vielfältig bedient auf dieser politischen Reise durch die Pfalz. Bei den Diskussionen zur Deutung in unserer Gruppe gab es Differenzen. Einige sahen Kontinuitäten des Widerstands gegen Ungerechtigkeit, Klassenherrschaft und politische Unterdrückung; andere fragten nach den Brüchen, nach Folgen der Niederlagen der Widerstands- und Demokratiebewegungen. Das Dorf, in dem der Pfälzer Bauernaufstand 1525 seinen Ausgang nahm, hat 1933 zu 75 Prozent NSDAP gewählt. Sind lokale Traditionen also „für die Katz“? – Vielleicht doch nicht ganz: An diesem Ort, Nußdorf bei Landau, gibt es ein vorzügliches Museum zum Bauernkrieg mit Ausblick auf nachfolgende Kämpfe für Demokratie, aber auch auf Abstürze in die Inhumanität wie Hexenverfolgungen.
Für uns als Gruppe zeigte sich: Noch mehr als die reale Geschichte wird die Deutung dieser Geschichte von Menschen gemacht. Und dabei kommt es auf die „Deutungshoheit“ an. Was wir über Geschichte denken und wissen, wird von herrschenden Interessen und Ideologien politisch geprägt. In der Pfalz waren wir in einem Land, das mehr als fast alle deutschen Lande Erfahrungen mit Rebellionen, Revolutionen, Niederlagen, Repression, Emigration, Enttäuschungen, neuen Versuchen der Enkel und Urenkel etc. gesammelt hat. Leider sind diese Erfahrungen heute weitgehend verschüttet.
Dass der offizielle Wissenschafts- und Schulbetrieb im von den Pfälzer Landesvätern Helmut Kohl (CDU) und Kurt Beck (SPD) lange Jahre regierten Bundesland Rheinland-Pfalz von den revolutionär demokratischen Erfahrungen und Traditionen im eigenen Lande kaum Notiz nimmt – an keiner Universität gibt es einen Schwerpunkt zu diesem Thema –, wurde uns schon während der Reise klar.
Als ich im heimatlichen Berlin angekommen war, fand ich in meinem Briefkasten einen Brief aus der Pfalz zum Thema „Widerstand“. Es war die Einladung zur „13. Speyerer Demokratietagung“, die am 27./28. Oktober stattfinden wird. Ich las das und dachte, mich tritt ein Pferd, um einen berühmten Spruch des jüngst verstorbenen SPD-Politikers Hans Apel zu zitieren. Da wird unter dem Thema „Widerstand“ unter Hinweis auf Aufstände gegen Diktatoren in Nordafrika und im Nahen Osten zur wissenschaftlichen Diskussion über Widerstand im Sinne der Verteidigung von Privilegien der Herrschenden aufgerufen. Es referieren u.a.: Hans-Olaf Henkel gegen den Euro und die Ausbeutung des deutschen Steuerzahlers und Thilo Sarrazin zum Thema „Widerstand mit Wort und Feder: gegen politische Korrektheit“. Ein auch nur ansatzweise der politischen Linken, oder Protestbewegungen wie gegen „Stuttgart 21“ oder gegen Atomkraft, zuzurechnender Referent ist nicht vorgesehen. Geleitet wird das Ganze von Prof. Hans Herbert von Arnim, der an der Speyerer Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften lehrt. (Mein Kollege von Arnim hat sich Verdienste beim Anprangern von politischer Korruption erworben, andererseits profiliert er sich immer wieder als konservativer Kritiker des Parteiensystems und der Parteien überhaupt, bedient also antidemokratische Vorurteile gegen politische Parteien, wie sie in Deutschland seit Bismarck und Wilhelm II samt Nachfolgern grassieren.) – Jedenfalls wird hier von der Speyerer Hochschule, also einer in der Pfalz ansässigen Institution von großer Bedeutung – der Bund und alle Länder sind Träger der Hochschule – ein Begriff von „Widerstand“ in das öffentliche Bewusstsein zu lancieren versucht, der mit dem Widerstand der Bauern und Bürger, deren Spuren wir gesucht haben, nichts, aber auch gar nichts zu tun hat; mit dem Widerstand der Fürsten und der preußischen Heere gegen die Bauern, das Volk und die Demokratie schon sehr viel mehr. (Wenn Ihr selber in das Programm hereinschauen wollt: http://www.dhv-speyer.de)

Schade, dass wir bisher nur eine kleine Kette von 20 Pfalz-Radler/innen sind. Wären wir schon ein Haufen, oder gar eine Zusammenrottung, dann könnten wir ja schon am 27. Oktober gen Speyer ziehen, um den dort Versammelten unsere Meinung zu sagen und ihnen die Deutungshoheit zu den Themen Demokratie und Widerstand zu bestreiten.

Aber was nicht ist, kann ja noch kommen – erste Hauptregel jeder vernünftigen Geschichtsschreibung.

Dr. Bodo Zeuner, Teilnehmer der Pfalzreise, Prof. a. D. für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

(Anmerkung: Links von Oliver Lambrecht und Sebastian Rochon ergänzt.)