Bericht einer Teilnehmerin der Krakaureise 2021
Gleich bei der Ankunft am Hauptbahnhof in Krakau sah ich sie schon, die vielen Regenbogenfahnen und die Polizeilichter und hörte die Rufe und Sirenen. Die LGTB-Demo war riesig, denn ich konnte mich kaum durchschlagen ins Hotel Studencki nahe der Weichsel, wo besonders viele Paare jeglichen Geschlechts am Samstag Nachmittag bei meiner Ankunft und am Sonntag noch händchenhaltend flanierten. Ein seltener Anblick im katholischen Polen, dachte ich erfreut und überrascht.
Schon im Zug sprach ein Sinti von der Diversität, die er in Krakau suchte.
Das ruhige Hotel war gastfreundlich, ich war die Erste aus unserer Gruppe. Am frühen Sonntag dann das Gegenprogramm: Matka Boska (Gottesmutter), Mariä Himmelfahrt – ich konnte nicht lange schlafen, suchte ein Cafe zum Frühstück und stromerte durch die Gassen gen Wawel-Burg, an vielen Kirchen vorbei. Schon früh waren vor allem mittel- bis alte Frauen mit Blumensträußen unterwegs, die sie in eine der vielen Kirchen weihen lassen wollten. Ein völlig anderes Bild als am Tag zuvor. Danach strömten ganze Gruppen in die Altstadt, die alle zum Gebet kamen – einheitlich angezogen mit dem Slogan: „Marsch für Jesus – Jesus liebt mich“, eher streng organisiert aber mit Popmusik.
Welche Gegensätze.
Langsam trudelten die anderen neuen Teilnehmer unserer Reisegruppe ein – junge Student:innen und jung gebliebene politisch Interessierte aus verschiedenen Teilen Deutschland, eher Nord, aber auch Ost- und Westdeutschland, soweit diese Aufteilung heute noch eine Rolle spielt. Beim Frauenthema manchmal schon.
Eine kleine sympathische Gruppe, viele aus Berlin, sogar ein Mann aus Offenbach. Wir hatten von Anfang an einen guten Draht zueinander. Unsere Leitung: Sebastian und Agnieszka Rochon kamen auch bald und begrüßten uns herzlich.
Mit einem wunderbaren Abendmenue starteten wir in die Woche. Danach in kleiner Runde eine Vorstellung des Programms und der Teilnehmer:innen und ein erster Gang durch Kazimierz (jüdisches Viertel in Krakau) – in einen der Pubs nebenan, in dem es sehr gemütlich war. Trotz Corona waren wir am Runden Tisch schnell vertraut.
Ja und am Montag gings dann richtig los: Informationen und Planungen morgens im Hotel, danach Führungen – in und um den Wawel herum, zur berühmten Königin Jadwiga, die mit dem Titel „König“ das Land regierte und mit der Stiftung ihres Schmucks schon im 14. Jahrhundert die Universität aufbaute, zum Rundgang durch die Stadt auf den Spuren von studierten, z.T. dennoch leider unsichtbaren Frauen, durch das ehemals jüdische Ghetto Kazimiersz. Vor und nach den Veranstaltungen und zwischendurch wurde diskutiert, verglichen und gestaunt, aber natürlich auch viel Naleśniki (Pfannkuchen) gegessen und Kaffee getrunken, obwohl es jeden Abend im Hotel immer ein tolles Menue mit vielen polnischen Spezialitäten, auch vegetarischen, gab.
Wir lernten viel über die Geschichte, die wunderbare Architektur, die Religiosität, aber auch die vielen Bauphasen, die vielen Tourist:innen und über die alte Stadt, die natürlich sehr männlich aufgebaut ist. Dennoch sahen wir das Haus einer über hundertjährigen Frauengenossenschaft, erfuhren von den Führungs- und Arbeitsproblemen in der Akademie der schönen Künste, wo wir auch eine Ausstellung zu Corona sahen, lernten schnell vielseitige Seiten der lebendigen Stadt unter diskussionsfreudiger Führung von engagierten Frauen, z.B. aus der LGTB-Bewegung, aus der Frauenbewegung und natürlich von der Gleichstellungsbeauftragten Krakaus.
Sebastian hatte immer noch einen kleinen Hinweis parat, wo es die schönsten Jugendstilgemälde, sogar in der Kirche gab, wo es besonders interessante Architektur, wo der Kaffee am besten schmeckte und wo die Biersorten am vielfältigsten waren. Agnieszka bewies durch ihre Auswahl an Referent:innen, durch eine fantastisch schnelle Übersetzung, dass sie sich in Menschen und Themen sofort einfühlen konnte und eine perfekte Zweisprachlerin ist. Imponierend bei den beiden so schweren Sprachen – auch abends bei den guten intensiven Auswertungen, die nie fehlten.
Der Ausflug nach Nowa Huta war für mich besonders beeindruckend, weil diese Vorzeigestadt, vergleichbar mit Eisenhüttenstadt und Wolfsburg auf vielen Illusionen, auf viel staatlichem Einsatz, aber vor allem auch mit viel weiblichem Engagement aber auch viel liberaleren Umgangsformen, schnell nach dem Krieg nicht nur auf dem Reißbrett sondern als richtige neue Stadt zustande kam.
Wir erfuhren von unserer Führerin und Autorin eines Buches über die Frauen von Nowa Huta, dass z.B. in Polen lange Zeit Abtreibungen normal waren, dass die moderne Kinderkrippe, von einer Frau geplant, vollkommen überbelegt war und dass trotz des sozialistischen Gedankens und des großen Lenindenkmal die fleißigen Arbeiterinnen auf einer Kirche und auf Teilzeitarbeit bestanden, weil sie ein anderes Familienbild hatten. Das war etwas anders als in der DDR, denn die Frauen waren zwar emanzipiert und auch in eher traditionellen Männerberufen beschäftigt, aber doch immer noch nach der harten Gummistiefelzeit ohne Straßen in Nowa Huta auch sehr an Häuslichkeit, an Familie und Kirche interessiert. Die damals sehr modernen Wohnungen waren sehr gefragt.
Leider wirkt dieses Viertel heute trotz oder wegen Weltkulturerbestatus z.T. etwas erstarrt und leer. Die Vertreterin in einer Beratungsstelle für Frauen erzählte uns von vielen sozialen Problemen, die es heute in Nowa Huta gibt, die uns z.B. auch aus Berlin sehr vertraut waren. Armut ist ein großes Problem heute, aber es gibt auch kleine Alternativbewegungen für eine nachhaltige Stadt.
Ja – was macht man denn in solcher dichten Programmwoche abends?
Nicht zu fassen, aber wir wollten abends z.B. noch Filme sehen, z.B. über die Frauen von Solidarność, der erst 2014 erschien. Wir diskutierten darüber bis in die Nacht, weil wir nicht verstanden, warum diese tollen Frauen, z.B. Ewa Ossowska, Anna Walentynowicz, Joanna Duda-Gwiazda, Barbara Labuda, Ludwika Wujec weitgehend aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwunden sind. Die Namen kennen heute in Polen nur wenige, ausser vielleicht den von Anna Walentynowicz, über die Andrzej Wajda einen Film drehte und die leider auf dem Flug einer Delegation der polnischen Regierung nach Smolensk 2010 abstürzte.
Die meisten sind nach dem Streik in der Danziger Werft, den sie als Frauen entgegen der Legende, dass es allein Wałęsa war, gerettet haben, plötzlich und bis heute auch im Museum der Solidarność in Text und Bild fast unsichtbar geworden, was uns empörte.
Wir spürten, dass es hüben wie drüben oft noch an Geschichtsbewusstsein, an Gleichstellung, an Diversität und Achtung und Geld für Frauen fehlt. Frauen sind oft Impulsgeberinnen oder Stichwortgeberinnen, aber sie werden kaum als eigenständige Persönlichkeiten im historischen Prozess wahrgenommen. Etwas veränderte sich ihre Stellung, z.B. durch die Streiks gegen Abtreibung und die starken Proteste gegen PiS (die regierende Partei Prawo i Sprawiedliwość / Recht und Gerechtigkeit) in den letzten beiden Jahren, die wir ja auch in Deutschland z.T. mit verfolgten und auch bewunderten.
Unser Bild auf Polen, auf die Kirche, auf PiS, auf starke Frauen ist durch diese Woche viel diverser und auch optimistischer geworden.
Ein Abend blieb dann noch, um auch uns selber, unsere Diversitätsdiskussion in Deutschland mit einzubeziehen: z.B. Was ist der Unterschied zwischen LGTB und FLINTA? Wie können wir damit umgehen? Wie wichtig ist es für eine offene Gesellschaft? Persönlich und gesellschaftlich engagiert und offen diskutierten wir über diese wichtigen Entwicklungen.
Das war nur ein kleiner Einblick in unser reiches Programm, an dem die gute Vorbereitung, die schöne Stadt, das leckere Essen und die tolle Leitung, die interessanten ReferentInnen einen sehr großen Anteil hatten.
Höchstbefriedigt und fast traurig verabschiedeten wir uns nach 5 Tagen, die uns viel länger erschienen.
Ein Wunsch blieb offen, dass wir unseren Blick vielleicht in kreativer Form noch zum Ausdruck bringen könnten, aber eine Woche ist begrenzt.
Sehr zu empfehlen. Wir werben dafür.
Hilla aus Berlin